Mythenbildung rund um Alkoholkonsum

Freitag, 18. Juli 2025

Mythen über Alkoholkonsum entstehen durch mediale Berichterstattung, die komplexe Studien vereinfacht und Emotionen weckt. Statt Fakten zählen oft die Schlagzeilen, während Millionen riskant trinken und die Gefahren des Alkohols ignoriert werden.

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Photo by Kimia on Unsplash

Was der Fall „alkoholfreies Bier“ und die BILD-Zeitung zeigen.

Die Berichterstattung der BILD-Zeitung vom 18.06.2025 über eine Studie zu alkoholfreiem Bier ist ein Paradebeispiel dafür, wie Mythen rund um Alkoholkonsum entstehen – und wie sie sich in unserer Gesellschaft halten.

In der Causal Layered Analysis (CLA) spielen Mythen eine zentrale Rolle als tiefste Ebene der Analyse, die unbewusste kulturelle Narrative und Weltbilder offenlegt, die unser Denken über Themen wie Alkoholkonsum fundamental prägen. Um diesen Mythos zu erhalten, griff die Bild-Zeitung zu einem fadenscheinigen Argument.

Worum geht es? Eine kleine Studie mit 44 jungen, gesunden Männern hat untersucht, wie sich der tägliche Konsum von 660 ml alkoholfreiem Bier über vier Wochen auf verschiedene Gesundheitswerte auswirkt. Die Ergebnisse: Bei manchen Biersorten gab es leichte, kurzfristige Veränderungen bei Blutzucker oder Blutfetten. Aussagen über Langzeitfolgen oder andere Bevölkerungsgruppen sind wissenschaftlich nicht möglich – dafür ist die Studie zu klein und zu kurz angelegt.

Doch genau diese Einschränkungen finden in der medialen Berichterstattung kaum Beachtung. Stattdessen dominieren Schlagzeilen wie „Alkoholfreies Bier erhöht Diabetes-Risiko!“. Das weckt Aufmerksamkeit, überrascht, schürt Unsicherheit – und lässt die eigentlichen Fakten in den Hintergrund treten.

Ich bin Prof. Dr. med. Kai Kolpatzik vom Wort & Bild Verlag (Apotheken-Umschau) für seinen Vorstoß und Hinweis auf LinkedIn dankbar. Wer die Bild-Zeitung nicht liest, kann sich dort von der Authentizität der Schlagzeile in seinem Beitrag überzeugen. In Deutschland konsumieren 7,9 Millionen Menschen Alkohol in gesundheitlich riskanter Weise. 1,6 Millionen Menschen sind alkoholabhängig. Jährlich gibt es über 47000 Todesfälle, die auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind.

Was steckt hinter dem medialen Phänomen?

Zum einen bedienen solche Nachrichtenwerte gezielt unsere Emotionen: Überraschung, Relevanz, Negativität. Zum anderen trifft das Thema Alkohol in Deutschland auf einen gesellschaftlichen Nährboden, in dem Alkoholgenuss traditionell positiv besetzt ist. Studien, die Risiken andeuten, erzeugen so besonders viel Resonanz – unabhängig davon, wie aussagekräftig sie wirklich sind.

Das Ergebnis: Mythen und Halbwahrheiten setzen sich fest. Statt einer sachlichen Diskussion über Konsum, Risiken und Prävention bleibt vordergründig eines hängen: die Schlagzeile. Dabei zeigen die Zahlen, wo das eigentliche Problem liegt – nicht beim alkoholfreien Bier, sondern beim Alkoholkonsum selbst: Millionen Menschen trinken riskant, Hunderttausende sind abhängig, Zehntausende sterben jährlich an den Folgen.

Was lernen wir daraus? Wir benötigen einen kritischeren Umgang mit Medienberichten. Verlassen wir zum Ende des Beitrags das Thema Alkohol.

Die alltägliche Berichterstattung in den Medien trägt maßgeblich zur Entstehung und Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Mythen bei. Dieser Prozess funktioniert durch sogenannte »Litaneien« – wiederkehrende, vereinfachte Narrative, die komplexe Themen auf eingängige Formeln reduzieren. Die Causal Layered Analysis (CLA) identifiziert diese Litaneien als eine oberflächliche Ebene des Diskurses, unter der sich tiefere systemische Strukturen und kulturelle Mythen verbergen.

Bei Themen wie Alkoholkonsum sind diese Litaneien besonders wirksam: »Ein Glas Wein am Tag ist gesund«, »Ohne Alkohol gibt es keine richtige Feier« oder eben die Umkehrung wie »Sogar alkoholfreies Bier ist schädlich«. Diese Narrative werden durch selektive Berichterstattung verstärkt, die aus komplexen wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinfachte, oft sensationalistische Botschaften formt.

An Stammtischen und in Alltagsgesprächen werden diese medialen Botschaften selten kritisch hinterfragt, sondern als Bestätigung existierender Überzeugungen aufgenommen. Das Beispiel der BILD-Schlagzeile über alkoholfreies Bier zeigt diesen Mechanismus perfekt: Die Botschaft »Sogar alkoholfreies Bier ist gefährlich« wird im nächsten Gedankenschritt umgedeutet. So verstärkt sich der kulturelle Mythos vom unproblematischen Alkoholkonsum weiter.

Die tiefere Struktur hinter diesem Phänomen ist eine gesellschaftliche Ambivalenz gegenüber Suchtmitteln: Einerseits wissen wir um die Gefahren, andererseits sind sie tief in unseren sozialen Praktiken verankert. Medien bedienen diese Ambivalenz, indem sie Gesundheitsrisiken dramatisieren, aber gleichzeitig den kulturellen Status von Alkohol als Genussmittel nicht grundsätzlich infrage stellen.

Fast darf man der Bild-Zeitung dankbar sein. Was beim Thema Alkohol aufgrund dieser durchschaubaren Berichterstattung schnell nachvollziehbar ist, bleibt bei anderen kulturellen Mythen verborgen. Insbesondere dann, wenn sie keine Schlagzeilen provozieren.

Beim Cultural Strategic Foresight schauen wir uns das ganz genau an und beginnen mit der Dekonstruktion der Wirklichkeit. Bevor wir eine bevorzugte Zukunft anstreben, müssen wir mit dem Rücken zur Zukunft die Gegenwart analysieren und genau verstehen, aufgrund welcher Bedingungen für Möglichkeiten das Hier und Jetzt entstanden ist.

Mit diesem Beitrag wollte ich niemandem ins Bier spucken, sondern klar machen, welche Verblendungszusammenhänge unser tägliches Handeln aus Gründen umrahmen. Wir sind heute Abend auf einer Feier eingeladen und dort werde ich sicher auch ein bis zwei Bier trinken. Jetzt wahrscheinlich noch etwas reflektierter.

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