Mythos & Metaphorik
Teure Identität
Update from 22.09.2025
Deutschland hat in seiner Geschichte wiederholt Entscheidungen getroffen, die mit erheblichen Kosten und Risiken verbunden waren und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gegenüber anderen Nationen zumindest kurzfristig beeinträchtigten. Die Reichsgründung 1871 und die Deutsche Wiedervereinigung 1990 stehen exemplarisch für solche „großen Würfe“. Angesichts eines aktuellen politischen Rechtsrucks und konservativer Mehrheiten stellt sich die Frage, wie sich dieses Muster in Bezug auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Demografie, Wirtschaft, Migration und Klimawandel – fortsetzen könnte.
1. Historische Muster: Teure und riskante Entscheidungen als Identitätsmerkmal
Die Gründung des Kaiserreichs 1871 war ein autoritärer, von Eliten getriebener Prozess, der zwar die nationale Einheit brachte, aber auch langfristig autoritäre Strukturen, schwache Parlamentarisierung und einen ausgeprägten Militarismus verankerte. Diese „Einigung von oben“ schuf einen deutschen Sonderweg, dessen strukturelle Probleme bis weit ins 20. Jahrhundert nachwirkten.
Die Deutsche Wiedervereinigung 1990 war ebenfalls ein historischer Kraftakt, der immense wirtschaftliche und soziale Kosten verursachte. Die Integration der ostdeutschen Wirtschaft und Gesellschaft in das westdeutsche System erforderte massive staatliche Transfers und führte zu strukturellen Wettbewerbsnachteilen, insbesondere durch Lock-in-Effekte und Pfadabhängigkeiten, die spätere Reformen erschwerten.
Beide historischen Beispiele zeigen: Deutschland ist bereit, hohe Kosten und Risiken zu tragen, um nationale Projekte und gesellschaftliche Konsense durchzusetzen – auch wenn dies international zu Nachteilen führen kann.
2. Gegenwart: Politische Weichenstellung nach rechts
Die Bundestagswahl 2025 brachte einen deutlichen Sieg der konservativen Parteien (CDU, CSU) und einen historischen Stimmenzuwachs für die AfD. Zusammengenommen erhielten CDU (22,6 %), CSU (6,0 %) und AfD (20,8 %) rund 49,4 % der Zweitstimmen. Damit wählt aktuell etwa jeder zweite Deutsche konservativ oder illiberal. Auch aktuelle Umfragen bestätigen diesen Trend.
Der politische Diskurs ist geprägt von Forderungen nach mehr Ordnung, nationaler Souveränität, Begrenzung von Migration und einer stärkeren Betonung traditioneller Werte. Die Unionsparteien (CDU/CSU) setzen auf wirtschaftliche Deregulierung, Steuerentlastungen und eine Senkung der Energiepreise, während die AfD offen gegen den menschengemachten Klimawandel argumentiert, den Kohleausstieg stoppen und die Migration drastisch begrenzen will.
3. Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
3.1 Demografischer Wandel und Arbeitskräftemangel
Deutschland steht vor einem beispiellosen demografischen Wandel: Die Bevölkerung altert rapide, die Geburtenrate bleibt niedrig, und die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter sinkt bis 2045 trotz Nettozuwanderung um mehrere Millionen. Bis 2045 wird die Zahl der Menschen im Rentenalter um 13,6 % steigen, während die Erwerbsbevölkerung um 2 % sinkt. Schon heute fehlen über 1,5 Millionen Arbeitskräfte, und bis 2030 wird eine Lücke von bis zu 5 Millionen prognostiziert.
Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Arbeitskräfte bis 2040 massiv zurückgehen, was zu starken Wohlstandsverlusten und einem Einbruch der Produktivität führen würde. Migration kann diesen Trend nur teilweise kompensieren, da viele Zuwanderer nicht über die benötigten Qualifikationen verfügen, und zugleich wird die Integration erschwert, wenn der gesellschaftliche Diskurs migrationskritischer wird.
3.2 Wirtschaftliche Stagnation und Pfadabhängigkeiten
Die deutsche Wirtschaft leidet unter stagnierender Produktivität, einer überalternden Belegschaft, Bürokratie und mangelnden Investitionen. Historische Pfadabhängigkeiten – etwa in der Sozial- und Gesundheitspolitik – erschweren Reformen, da mächtige Interessengruppen am Status quo festhalten und ein Wechsel zu effizienteren Modellen teuer oder politisch kaum durchsetzbar ist. Solche „Lock-in-Effekte“ verstärken die strukturellen Wettbewerbsnachteile Deutschlands im Vergleich zu dynamischeren Volkswirtschaften.
3.3 Migration: Politische Begrenzung kontra ökonomische Notwendigkeit
Konservative und illiberale Parteien setzen auf eine Begrenzung der Migration, um gesellschaftliche Homogenität und „Ordnung“ zu wahren. Doch die Wirtschaft warnt: Ohne Zuwanderung droht der Kollaps ganzer Branchen, von Pflege über Bau bis Gastronomie. Restriktive Einwanderungspolitik verschärft den Fachkräftemangel, erhöht die Integrationskosten und schwächt die Innovationskraft der Wirtschaft.
3.4 Klimawandel und Energiepolitik
Die konservativen und rechten Parteien fordern einen pragmatischeren, teilweise bremsenden Kurs in der Klimapolitik. Die AfD leugnet den menschengemachten Klimawandel, will den Kohleausstieg stoppen und Atomkraft reaktivieren. Die Union setzt auf eine Senkung der Energiepreise, stärkeren Ausbau von Gas- und Kernenergie sowie die Abschaffung regulativer Hürden. Dies könnte Deutschlands Rolle als Vorreiter der Energiewende schwächen und internationale Klimaziele gefährden. Gleichzeitig drohen durch Klimafolgen wie Extremwetter, Ressourcenknappheit und Infrastrukturkosten erhebliche Wohlstandsverluste und neue geopolitische Risiken.
4. Logische Fortsetzung: Die Zukunft konservativer Politik in Deutschland
4.1 Risiko einer „neuen Pfadabhängigkeit“
Die aktuelle politische Weichenstellung droht, neue Pfadabhängigkeiten zu schaffen: Ein Fokus auf nationale Souveränität, restriktive Migration, Deregulierung und ein gebremster Klimaschutz mögen kurzfristig gesellschaftliche Stabilität und Konsens sichern. Langfristig jedoch drohen Wettbewerbsnachteile, da zentrale Herausforderungen – wie der Arbeitskräftemangel, die Alterung der Gesellschaft oder die Anpassung an den Klimawandel – nicht ausreichend adressiert werden.
4.2 Fortsetzung des Musters: Teure Entscheidungen für den sozialen Frieden
Wie schon bei der Wiedervereinigung oder der Sozialstaatsentwicklung könnte Deutschland erneut bereit sein, hohe Kosten zugunsten gesellschaftlicher Kohärenz und Konsens zu tragen – etwa durch massive Subventionen, Rentenerhöhungen, Energiepreisstützungen oder neue Transfersysteme. Doch diese Entscheidungen werden zunehmend auf Kosten künftiger Generationen und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gehen.
4.3 Gefahr der Selbstblockade
Ein konservativ-illiberaler Konsens könnte Deutschland in eine politische und ökonomische Selbstblockade führen: Reformunfähigkeit, Innovationsstau und ein Rückzug aus internationaler Verantwortung wären die Folge. Die gesellschaftliche Akzeptanz für notwendige, aber schmerzhafte Transformationen – etwa bei Migration, Digitalisierung oder Klimaschutz – würde weiter sinken, während die Kosten für das Festhalten am Status quo steigen.
Fazit
Deutschland steht an einem historischen Wendepunkt. Die Bereitschaft, teure und riskante Entscheidungen für den gesellschaftlichen Konsens zu treffen, ist tief in der politischen Kultur verankert. Der aktuelle konservative Kurs droht, diese Tradition fortzuschreiben – mit dem Risiko, dass notwendige Anpassungen an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausbleiben und das Land in eine neue Pfadabhängigkeit gerät, die künftige Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand gefährdet. Die logische Fortsetzung wäre eine Politik der sozialen Stabilität um jeden Preis – mit allen Risiken und Nebenwirkungen für die Zukunftsfähigkeit der Nation.
Deutschland steht an einem historischen Wendepunkt. Die Bereitschaft, teure und riskante Entscheidungen für den gesellschaftlichen Konsens zu treffen, ist tief in der politischen Kultur verankert. Der aktuelle konservative Kurs droht, diese Tradition fortzuschreiben – mit dem Risiko, dass notwendige Anpassungen an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausbleiben und das Land in eine neue Pfadabhängigkeit gerät, die künftige Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand gefährdet. Die logische Fortsetzung wäre eine Politik der sozialen Stabilität um jeden Preis – mit allen Risiken und Nebenwirkungen für die Zukunftsfähigkeit der Nation.
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