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Pfadabhängigkeit

Kulturelle strategische Vorausschau

Kognitive Pfadabhängigkeit beschreibt, wie historische Praktiken, wie das Lehren des Brustschwimmens in Deutschland, über Generationen bestehen bleiben, selbst wenn ihre ursprüngliche Relevanz verloren geht. Diese kulturelle Beharrungskraft kann Innovation und Anpassung an neue Bedingungen erschweren.

Written by: Frank Stratmann

2.6

Update from Jul 13, 2025

Pfadabhängigkeit beschreibt ein grundlegendes Phänomen in sozialen, wirtschaftlichen und technischen Systemen: Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, schränken die möglichen Optionen in der Gegenwart und das Zukunftsdenken ein. Mit anderen Worten: Die Geschichte eines Systems beeinflusst maßgeblich dessen Entwicklungspfad.

Das Konzept wurde ursprünglich in der Wirtschaftswissenschaft entwickelt, hat aber mittlerweile in zahlreichen Disziplinen Anwendung gefunden. Im Kern geht es um frühere Entscheidungen, die ihrerseits Strukturen, Prozesse und Denkweisen etablieren, die sich selbst verstärken und so künftige Entwicklungen in bestimmte Bahnen lenken.

Drei zentrale Mechanismen charakterisieren Pfadabhängigkeit:

  • Selbstverstärkung: Einmal getroffene Entscheidungen schaffen positive Rückkopplungseffekte, die den eingeschlagenen Pfad immer attraktiver machen.

  • Lock-in-Effekte: Ab einem bestimmten Punkt wird der Wechsel zu Alternativen prohibitiv teuer oder komplex, auch wenn diese objektiv besser wären.

  • Historische Prägung: Der Zeitpunkt und die Reihenfolge von Ereignissen spielen eine entscheidende Rolle – frühe Entscheidungen haben oft überproportionalen Einfluss.

Systemische vs. Transgenerationale Pfadabhängigkeiten

Bei der Analyse von Pfadabhängigkeiten lassen sich grundlegend zwei unterschiedliche Kategorien identifizieren, die auf verschiedenen Ebenen wirken und unterschiedliche Beharrungskräfte aufweisen.

Systemische Pfadabhängigkeiten

Systemische Pfadabhängigkeiten sind in erster Linie in konkreten Strukturen, organisatorischen Prozessen und institutionalisierten Mechanismen verankert. Deshalb ordnen wir diese den systemischen Ursachen zu. Sie manifestieren sich in der materiellen Welt und in formalen Regelwerken, die das Handeln von Organisationen und gesellschaftlichen Systemen bestimmen. Diese Form der Pfadabhängigkeit ist oft sichtbarer und expliziter als andere Formen.

  • Technologische Pfadabhängigkeit: Vorwiegend in materiellen Infrastrukturen und Standards manifestiert (QWERTY-Tastatur, Spurweiten, Betriebssysteme)

  • Institutionelle Pfadabhängigkeit: In formalen Regeln, Gesetzen und Organisationsstrukturen verankert

  • Ökonomische Pfadabhängigkeit: Durch Marktmechanismen, Skaleneffekte und ökonomische Anreizstrukturen getrieben

  • Ressourcenbasierte Pfadabhängigkeit: Durch die Verteilung und Bindung von physischen, finanziellen und personellen Ressourcen bestimmt

Diese Pfadabhängigkeiten sind oft sichtbarer, leichter zu analysieren und können mitunter durch gezielte Intervention, strukturelle Reformen oder technologische Innovationen überwunden werden.

Transgenerationale Pfadabhängigkeiten

Transgenerationale Pfadabhängigkeit hingegen ist tiefer in kulturellen Praktiken und kollektiven Weltbildern verankert.

Transgenerationale Pfadabhängigkeiten manifestieren sich in verschiedenen, miteinander verflochtenen Formen. Sie verankern sich in kognitiven Strukturen als Denkmuster und mentale Modelle, die über Generationen weitergegeben werden; in kulturellen Praktiken wie dem Beispiel des Brustschwimmens; in narrativen Elementen wie kollektiven Erzählungen und Mythen, die Identität stiften; sowie in fundamentalen Weltbildern und Grundannahmen über die Beschaffenheit der Welt, die meist unbewusst bleiben und selten hinterfragt werden.

Deshalb sind transgenerationale Pfadabhängigkeiten typischerweise tiefer verankert und werden oft unbewusst als »natürlich« oder »selbstverständlich« wahrgenommen. Sie zeichnen sich durch eine höhere Beharrungskraft aus und überdauern häufig politische, ökonomische oder technologische Umbrüche. Ihre Weitergabe erfolgt größtenteils implizit, nicht durch explizite Lehre, sondern durch Sozialisation, Imitation und kulturelle Praktiken. Zudem besitzen sie eine kollektive Dimension, da sie in gemeinsamen Identitäten und sozialen Beziehungen verankert sind.

Besonders interessant sind die Wechselwirkungen zwischen systemischen und transgenerationalen Pfadabhängigkeiten. Daher behandeln wir diese besondere Dimension der Pfadabhängigkeiten noch einmal detailliert in der Schicht der Weltbilder und Ideologien. Wichtig für den Moment folgende Hinweise:

  • Verstärkungseffekte: Weltbilder können systemische Pfadabhängigkeiten legitimieren und stabilisieren (z. B. wenn kulturelle Vorstellungen von Hierarchie bestimmte Organisationsstrukturen stützen)

  • Spannungsverhältnisse: Systemische Veränderungen (z. B. neue Technologien) können mit transgenerationalen Pfadabhängigkeiten in Konflikt geraten

  • Transformationsprozesse: Tiefgreifender Wandel erfordert oft Veränderungen auf beiden Ebenen

Das Beispiel des Brustschwimmens in Deutschland illustriert diese Dynamik eindrücklich: Eine ursprünglich aus militärischen Notwendigkeiten (systemisch) entstandene Praxis hat sich über Generationen in ein kulturelles Muster (transgenerational) transformiert, das heute als »richtige Art des Schwimmenlernens« wahrgenommen wird und in Weltbildern verankert ist.

Weitere Pfadabhängigkeiten

Es gibt eine Reihe weiterer wichtiger Pfadabhängigkeiten, die sich oft gegenseitig beeinflussen und verstärken.

Technologische Pfadabhängigkeit

Diese entsteht, wenn sich eine bestimmte Technologie oder ein Standard durchsetzt, oft aufgrund von »Increasing Returns« (zunehmenden Erträgen), Netzwerkeffekten oder hohen Umstellungskosten. Selbst wenn später effizientere Alternativen auftauchen, ist ein Wechsel aufgrund der bereits getätigten Investitionen und der etablierten Infrastruktur schwierig.

  • Beispiel: Das klassischste Beispiel ist die QWERTY-Tastaturbelegung. Sie wurde ursprünglich entwickelt, um ein Verhaken der Typenhebel bei mechanischen Schreibmaschinen zu minimieren. Obwohl es später ergonomische und schneller zu bedienende Alternativen gab (z. B. Dvorak), hat sich QWERTY aufgrund des frühen Vorsprungs und der enormen Verbreitung als Standard etabliert und hält sich bis heute.

  • Weitere Beispiele: Bestimmte Betriebssysteme (Windows), Videostandards (früher VHS vs. Betamax, heute bestimmte Dateiformate), oder auch die Infrastruktur von Eisenbahnschienen (Spurweiten).

Institutionelle Pfadabhängigkeit

Hier geht es um die Persistenz von Regeln, Normen, Gesetzen, Organisationen und formalen und informellen Institutionen. Einmal etablierte Institutionen schaffen Anreizstrukturen und formen die Interessen von Akteuren, die dann ein Interesse daran haben, diese Institutionen zu erhalten. Ein Wandel ist daher oft schwierig und mit hohen Kosten verbunden.

Beispiel Gesundheitswesen

Das deutsche Gesundheitssystem mit seiner strikten Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor dient uns als Beleg für zahlreiche systemische Ursachen. Die Trennung entstand historisch aus spezifischen Entwicklungen und Machtstrukturen und führt heute zu Ineffizienzen, Doppeluntersuchungen und Kommunikationsproblemen zwischen den Sektoren.

  • Historischer Ursprung: Die strikte Trennung wurde in den 1930er Jahren gesetzlich verankert und nach dem Zweiten Weltkrieg beibehalten.

  • Lock-in-Effekt: Komplexe Abrechnungssysteme, unterschiedliche Budgets und getrennte Interessenvertretungen (Kassenärztliche Vereinigungen vs. Krankenhausgesellschaften) erschweren eine Integration.

  • Beharrungskraft: Trotz jahrzehntelanger Kritik und zahlreicher Reformversuche bleibt diese Grundstruktur bestehen, da sich mächtige Interessengruppen gebildet haben, die vom Status quo profitieren.

Organisationale Pfadabhängigkeit

Diese Pfadabhängigkeit bezieht sich auf die Tendenz von Organisationen (Unternehmen, Behörden, Non-Profit-Organisationen), an bestehenden Strukturen, Prozessen, Routinen und Kompetenzen festzuhalten. Einmal etablierte Abläufe und Kulturen prägen die Entscheidungen und Handlungen und können es schwierig machen, sich an neue Gegebenheiten anzupassen.

  • Beispiele: Ein etabliertes Unternehmen, das trotz Veränderungen im Markt an seinem traditionellen Geschäftsmodell festhält (z. B. Kodak und der Übergang zur Digitalfotografie). Auch interne Hierarchien, Entscheidungswege oder die Art und Weise, wie Wissen geteilt wird, können pfadabhängig sein.

  • »Core Rigidities«: Was einst Kernkompetenzen waren, kann sich im Laufe der Zeit zu »Kern-Rigiditäten« entwickeln, die Innovationen behindern.

Ressourcenbasierte Pfadabhängigkeit

Manchmal können Unternehmen oder Organisationen in einem Pfad gefangen sein, weil ihnen die notwendigen Ressourcen (finanzielle Mittel, spezialisiertes Personal, Infrastruktur) fehlen, um einen Wandel anzustoßen oder einen neuen Pfad einzuschlagen. Hohe sunk costs (versunkene Kosten) spielen hier eine große Rolle.

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese verschiedenen Arten von Pfadabhängigkeit selten isoliert auftreten. Oft verstärken sie einander. Beispielsweise kann eine technologische Pfadabhängigkeit zu einer organisationalen Pfadabhängigkeit führen, wenn die Organisation stark an die etablierte Technologie gebunden ist, und diese wiederum durch kognitive Pfadabhängigkeiten in den Köpfen der Mitarbeiter und Führungskräfte verfestigt wird.

Auch hier ist der Verweis auf das deutsche Gesundheitswesen hilfreich, um zu verstehen, wie sich die unterschiedlichen Pfade kreuzen. Zunehmend zeigt sich, dass Hausärzte und Facharztpraxen kaum Schritt halten bei den Investitionen, die nötig wären, um zeitgemäße Medizin anzubieten. Das überträgt sich einerseits auf die medizintechnischen Ressourcen, zeigt sich jedoch auch hinsichtlich der sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher vollziehenden Digitalisierung, die mittlerweile unüberwindbare Beharrungskräfte mobilisiert. Sowohl eine ablehnende Geisteshaltung als auch eine Befürwortung der Anpassung des ärztlichen Berufsbildes verändern das, was einmal Arztsein bedeutete, in kultureller Hinsicht.

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Frank Stratmann

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I am Frank Stratmann – an experienced foresight and communication designer, passionately working for healthcare professionals. Also known as @betablogr.

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