Datenkolonialismus
Datenkolonialismus beleuchtet die Herausforderungen der digitalen Souveränität, insbesondere im Gesundheitswesen. Der BDI warnt vor Unsicherheiten für Unternehmen durch mögliche Änderungen im EU-US-Datentransfer, während Datenschützer Firmen zu Exit-Strategien raten. Die Unsicherheit wird durch fehlende gesetzliche Absicherung des EU-US-Data-Privacy-Frameworks verstärkt.
Der Datenkolonialismus ist ein dringliches Thema unserer Zeit, das die Machtstrukturen im digitalen Raum kritisch beleuchtet. Im Folgenden verfolgen wir aktuelle Entwicklungen, Debatten und Ereignisse rund um die digitale Souveränität und den Umgang mit Daten im Gesundheitswesen.
Uns beschäftigen dabei weniger technische Details oder einzelne Aspekte der Gesetzgebung, wenngleich beide Einfluss auf den kulturellen Wandel haben. Wir werden versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen und die kulturelle Essenz zu finden.
Donnerstag, 20. November 2025
Die Frage nach digitaler Souveränität ist längst zum Zukunftsthema avanciert, und das Gespräch des BR mit dem Medienwissenschaftler Martin Andree von der Universität zu Köln lässt die zentralen Motive dieses Diskurses noch einmal deutlich werden. Andree berichtete über das aufgezeichnete Video auf LinkedIn.
Anlass bietet dem Regionalsender derzeit die bequeme, aber riskante Abhängigkeit bayerischer Verwaltungen von Microsoft. Andree bringt die Problematik direkt auf den Punkt: »Wir bauen diese fatale Abhängigkeit von Tech-Konzernen sogar aktiv aus.« Die jüngsten politischen Initiativen – von der bayerischen Kooperation mit Microsoft über die von Innenminister Dobrindt immer noch verfolgte bundesweite Einführung der Polizeiüberwachungssoftware Palantir bis hin zu Lobeshymnen auf Google-Investitionen durch den Bundesfinanzminister Lars Klingbeil – zeigen, wie tief sich die Bindungen zu US-Konzernen in den deutschen und europäischen Verwaltungsstrukturen verfestigt haben.
In der Rückschau auf den Gipfel für europäische digitale Souveränität in Berlin vor einigen Tagen wird deutlich, dass die Diskussionen zwar von Begriffen wie Markt, Wettbewerb und Innovation geprägt sind, die Realität aber eine andere Sprache spricht.
Andree skizziert die Lage präzise: »Typischerweise haben Sie Monopolisten, die 90 bis 95 Prozent eines Marktsegments abdecken.« Wettbewerb ist unter diesen Bedingungen faktisch unmöglich, Innovationen können sich kaum entfalten. Dass dieses offenkundige Problem auf dem Gipfel kaum thematisiert wurde, sieht Andree als symptomatisch – »der Elefant im Raum«, den niemand wirklich anspricht, mit Ausnahme von Macron, der immerhin die Monopolfrage offen benennt.
Die eigentliche Zuspitzung des Gesprächs erfolgt mit der Analyse der Erzählung, das den Gipfel ideologisch prägte: Deregulierung. Andree hält dem entgegen, dass gerade die Forderung nach weniger Regulierung dem Märchen der Tech-Konzerne entspricht. »Das ist ja genau das Märchen, das uns die Tech-Konzerne erzählen. Die wollen möglichst wenig gestört werden von europäischer oder deutscher Regulierung«, sagt er und verweist auf die historische Erfahrung mit der Öffnung des Telekom-Marktes in Deutschland. Damals gelang es, durch gezielte Regulierung ein Monopol zu brechen und Wettbewerb zu ermöglichen – ein Ansatz, der heute in der digitalen Sphäre weitgehend fehlt.
Die Lösung sieht Andree in marktöffnenden und ermöglichenden Regeln, die den Monopolisten das Terrain streitig machen. Infrastruktur und Inhalte könnten getrennt werden, Drittanbieter müssten Zugang zu den Plattformen erhalten, offene Standards und Outlinks könnten durchgesetzt werden. Die Regulierer, so Andree, »wissen genau, wie man Monopole öffnet«. Doch all diese Ansätze verlangen nicht nur politisches Geschick, sondern auch die Bereitschaft zur Konfrontation mit der US-Regierung – ein Punkt, an dem der europäische Diskurs häufig ins Stocken gerät.
Am Ende bleibt die Einsicht, dass digitale Souveränität kein bloßes Schlagwort sein kann, sondern eine politische und regulatorische Aufgabe, die entschlossen angegangen werden muss. Ohne die Bereitschaft, Monopole tatsächlich zu öffnen und Abhängigkeiten zu reduzieren, bleibt das Ziel der europäischen digitalen Souveränität eine Illusion.
Mittwoch, 19. November 2025
Die EU-Kommission hat gestern das »Digital Omnibus« Paket vorgestellt, das massive Revisionen sowohl des AI Acts als auch der DSGVO vorsieht. Was als gezielte Vereinfachung für Unternehmen angekündigt war, entpuppt sich als grundlegender Eingriff in europäische Datenschutzstandards.
Besonders brisant: Die durchgesickerten Entwürfe sehen Änderungen an Kernelementen wie der Definition »personenbezogener Daten« und allen Betroffenenrechten der DSGVO vor. Datenschützer von noyb warnen, dass AI-Unternehmen wie Google, Meta oder OpenAI einen »Blankoscheck« für das Sammeln europäischer Personendaten erhalten könnten. Auch der besondere Schutz sensibler Daten wie Gesundheitsdaten, politische Ansichten oder sexuelle Orientierung würde erheblich reduziert.
Beim AI Act plant die Kommission eine Zentralisierung der Aufsicht, während Verbraucherschützer befürchten, dass die Regulierung verwässert wird. Die Diskussion um digitale Souveränität erhält damit eine neue, paradoxe Wendung: Europa schwächt möglicherweise seine eigenen Schutzinstrumente gegen Datenkolonialismus.
Montag, 31. März 2025
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt vor erheblichen Unsicherheiten für Unternehmen, falls US-Präsident Donald Trump die Rechtsgrundlagen für den Datentransfer zwischen der EU und den USA aufhebt.
EU-US-Data-Privacy-Framework: Das bestehende Abkommen, das auf Zusagen der US-Regierung basiert, könnte bei einem Scheitern verheerende Folgen für Unternehmen und Behörden haben, einschließlich erhöhtem Aufwand und Rechtsunsicherheit.
Das Weiße Haus hat fast alle Mitglieder des »Privacy and Civil Liberties Oversight Boards« aufgefordert, ihre Arbeit niederzulegen, was die Überwachung des Datenabkommens mit der EU stark beeinträchtigt.
Datenschützer raten betroffenen Firmen, sich aktiv mit »Exit-Strategien« auseinanderzusetzen, um auf mögliche Änderungen im Datenschutzrecht vorbereitet zu sein. Frühere Datenschutzbeauftragte kritisieren, dass das EU-US-Data-Privacy-Framework nicht durch ein Parlamentsgesetz abgesichert wurde, was die aktuelle Unsicherheit verstärkt.
Sonntag, 30. März 2025
Wir steigen ein mit der Veröffentlichung eines ersten Überblicks über Datenkolonialismus in unserer Rubrik Konstitutive Diskurse.
