Neue Aufklärung unter Druck
Donnerstag, 12. Juni 2025
Die Neue Aufklärung muss die technokratische Hybris überwinden und den technologischen Fortschritt für alle Menschen emanzipieren, nicht nur für einige. Der Neo-Reaktionarismus droht, die Errungenschaften der Aufklärung ins Gegenteil zu verkehren.
Vier verdächtige Figuren des Neo-Reaktionalismus als Metapher generiert
Über die Männer im hohen Schloss.
Es bleibt menschlich, sich vorzustellen, dass diese Männer des Neo-Illiberalismus sich auf geheimnisvolle Weise koordinieren – wie in einem Bond-Film oder einer Serie wie »Man In The High Castle«, in der eine alternative Zukunft als Fortsetzung einer überstanden geglaubten Vergangenheit erzählt wird. Dies ist ein Blog mit Blick auf gelingende Zukünfte und deshalb habe ich keine Angst zu beschreiben, was immer noch wie eine Verschwörung klingen mag.
Tatsächlich bereitet es mir große Sorge, dass es sich bei den derzeitigen – Tag für Tag deutlicher werdenden – Entwicklungen um den Kipppunkt in der Dialektik der Aufklärung handelt, wie sie von Horkheimer und Adorno beschrieben wurde. Was als Befreiung des Menschen durch Technologie und Vernunft begann, droht in den nächsten Dekaden in sein Gegenteil umzuschlagen. Die Dialektik der Aufklärung kennt Rückschritte, die sich in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts nachweisen.
Das abstrakte Phänomen um Figuren wie Peter Thiel, Elon Musk, Donald Trump oder Einflüsterer wie Curtis Yarvin nennt sich Neo-Reaktionarismus. Es schmückt sich mit Konzepten wie Longevity, Transhumanismus und anderen realitätsfernen Fantasien. Das spricht nicht gegen ihre Machbarkeit auf lange Sicht (vgl. Longtermismus), auch beim Blick auf die Entwicklung einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz (AGI). Jedoch ist klar, dass nicht alle Menschen davon profitieren werden können. Daher wird von Neo-Reaktionaristen im großen Stil ausgegrenzt. Dabei geht es nicht darum, alternative Szenarien besser zu finden. Das wäre zu progressiv. Vielmehr arbeitet man sich an den Dingen ab, die man nicht will oder gar verabscheut; die man als neuer Reaktionarist ekelhaft findet. Dazu gehört es ausdrücklich, zu bisher undenkbaren Kombinationen moralphilosophischer Schlussfolgerungen, weltanschaulicher Transformationswünsche zu kommen, wie sie sich zum Beispiel in der Figur Peter Thiel verdichten.
Anhänger des Neo-Reaktionarismus folgen einer zeitgenössischen politischen Strömung, die sich gegen aufklärerische Werte und demokratische Institutionen wendet und stattdessen technokratische und autoritäre Strukturen befürwortet. Curtis Yarvin bezeichnet Großunternehmen als Monarchien der 5. Generation. Trump ist bereits ein Spielkönig in der transaktionalen Logik eines CEO. Der Begriff Spielkönig soll dabei nicht von Wirkungslosigkeit berichten, sondern verweist auf die Vordenker im Hintergrund.
Die demokratischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich entstanden zwar nicht gänzlich unabhängig voneinander, folgten aber einer ähnlichen Logik der politischen Emanzipation. Heute beobachten wir parallel verlaufende autoritäre Tendenzen in verschiedenen Ländern – nicht zentral koordiniert – sondern aus ähnlichen gesellschaftlichen Spannungen erwachsen. Nur dieses Mal ist es anders. Internet und KI sind zwei Technologien, deren Ausrichtung mehrheitlich in den Händen von mächtigen Spielkönigen liegt.
Wir alle hocken jeden Tag vor den Schlagzeilen. Es wird Zeit, die systemischen Ursachen und Weltbilder besser zu verstehen. Ähnlich wie damals. Die Weichen für Deutschlands unglücklichen Weg in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts wurden nicht in einem dramatischen Moment, sondern in einer subtilen politischen Manipulation gestellt. Otto von Bismarck, der alte Stratege, zerstörte die Verbindung zwischen nationaler Identität und demokratischen Prinzipien. Und zwar so.
Er trennte, was zusammengehörte. Die demokratischen Ideale und das nationale Empfinden. Mit brillanter Taktik lockte er die Liberalen in eine Falle. Indem er ihnen glitzernde nationale Erfolge bot, kaufte er ihnen ihre demokratischen Überzeugungen ab. Die liberale Partei zerfiel in nationale und demokratische Flügel – ein Sündenfall, von dem sich der Liberalismus nie wieder erholen sollte. Die nationale Einigung wurde nicht durch das Volk, sondern durch Fürsten und Militärs vollzogen. Die Identität der Nation wurde gestohlen und in die Taschen der Obrigkeitsstaatler gesteckt.
Das war der Weg Bismarcks. Er hat die Deutschen in die Scheiße geführt (Schwanitz, 2000).
Statt einer demokratischen Bewegung von unten entstand ein autoritäres Konstrukt von oben. Der Obrigkeitsstaat Preußen war Bismarcks Meisterwerk und gleichzeitig Ausdruck einer Perversion der nationalen Idee. Die Nation wurde nicht mehr mit dem Volk assoziiert, sondern mit dem, was heute teilweise noch als Mythos der deutschen Gesellschaft bemüht wird und in rechtsradikalen Kreisen nicht nur durchscheint, sondern erneuert werden soll. Ein fataler Fehler, der den Weg für spätere Katastrophen ebnete (Schwanitz, 2000).
Die Dynamiken zwischen Progressiven und Konservativen, zwischen Fortschritt und Reaktion, zwischen Öffnung und Abschottung, zwischen Überwinden und Bewahren neigen erneut zu einer instrumentellen Vernunft. Dieses Mal global vernetzt. Die Tech-Bros scheinen sich anzumaßen, die fortschrittliche Technologie der Künstlichen Intelligenz gegen die Vernunft der Aufgeklärten einzusetzen. Das beginnt mit der Zerstörung wissenschaftlicher Institutionen. Paul Feyerabends »Anything goes« wird empfindlich überinterpretiert. Die KI wird es richten. Wofür benötigen wir noch Harvard? Viel zu progressiv. Diese Ambiguität lässt sich kaum mehr aushalten. Einerseits gäbe es KI nicht mehr. Andererseits sollen damit revisionistische Ideen auf ein höheres Ordnungsniveau gehoben werden, das es manchen ermöglicht, nach Elysium zu fliehen.
Derzeit läuft weltweit ein Kulturkampf, der sich nicht mehr als Dynamik zwischen Fortschritt und Rückschritt beschreiben lässt.
Der am Rückschritt orientierte Neo-Reaktionarismus nutzt den technologischen Fortschritt und setzt sich schleichend durch. Es beginnt auf einem intellektuellen Niveau und beginnt bereits, die Verhältnisse zu schaffen, die wir weiterhin nicht wahrhaben wollen.
Ich bitte um Verzeihung, falls es dem Leser zu pessimistisch klingt. Als Neurealist ist es mir zuwider, wenn ich so klinge. Jedoch beginne ich zu begreifen, welche Tatsachen derzeit geschaffen werden. Nichts Menschliches erachte ich mir als fremd.
Die größte Herausforderung für eine Neue Aufklärung liegt in der Überwindung der technokratischen Hybris. Während die ursprüngliche Aufklärung gegen religiösen Dogmatismus und feudale Strukturen kämpfte, steht die Neue Aufklärung vor der Aufgabe, die Versprechen der digitalen Revolution zu emanzipieren. Es geht nicht darum, den technologischen Fortschritt zu verlangsamen, sondern ihn in den Dienst aller Menschen – nicht nur mancher – zu stellen; ihn zu akzelerieren.
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