Actionfiguren-Trends in sozialen Medien

Montag, 7. April 2025

Der Trend, sich als Actionfigur darzustellen, spiegelt den Wunsch nach Zugehörigkeit und spielerischer Identität wider. Es ist eine kreative Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Selbstdarstellung – ein Balanceakt zwischen Individualität und Gemeinschaft.

OpenAI / Sora

Über Signal erreicht mich die Frage, ob ich auch schon diesen Trend ausprobiert hätte, mithilfe einer Bild-KI eine Actionfigur von mir zu erstellen. Tatsächlich hatte ich erste Versuche bereits hinter mir. Beim Basteln an meiner eigenen Figur fiel mir auf, dass ich eigentlich keine Lust haben würde, das puppenhafte Abbild von mir in sozialen Medien zu teilen. Also stelle ich in diesem Beitrag ein paar Überlegungen an, die uns auf die Spur bringen sollen. Hinter der spielerischen Oberfläche verbergen sich komplexe psychologische Mechanismen, die Identitätsbildung, Gemeinschaftsgefühl und unseren Umgang mit dem zunehmend digitalisierten Selbst betreffen.

Warum geht es in dem Trend?

Manchem, der sich mit dem in Umlauf gebrachten Prompt beschäftigte, dürfte aufgefallen sein, wie konfrontierend es sein kann, wenn man sich selbst auf einen Gegenstand reduziert. Der Schritt ist verhältnismäßig einfacher, als dann noch drei Zubehörteile anzugeben. Sie erscheinen idealerweise neben dem persönlichen Abbild in der Blisterverpackung.

Aktuell verbreitet sich in sozialen Medien also ein Trend, bei dem Menschen mithilfe von KI-Bildgeneratoren Actionfiguren-Versionen von sich selbst erstellen. Diese Figuren werden im Stil klassischer Spielzeugverpackungen dargestellt, komplett mit Blisterverpackung und persönlichen Accessoires. Die Nutzer können dabei drei charakteristische Zubehörteile wählen, die ihre Persönlichkeit oder Interessen widerspiegeln. Diese digitalen Kreationen werden dann auf verschiedenen Social-Media-Plattformen geteilt, wo sie für Unterhaltung und Diskussionen sorgen.

Der Trend wurde im Vorfeld der in dieser Woche stattfindenden DMEA – Connecting Digital Health Conference in Berlin von zahlreichen Branchenakteuren aufgegriffen.

Der LinkedIn-Stream wird derzeit von den bunten Figuren geflutet. Diese Form der Selbstdarstellung als Actionfigur in den sozialen Medien ist ein vielschichtiges Phänomen, das verschiedene psychologische und soziologische Faktoren widerspiegelt.

Prompt zur Actionfigur

Der folgende Prompt wurde mit ChatGPT 4o (neue Version mit Bildgenerierung im Pro-Account) und Sora von OpenAI ausprobiert und führte zum obigen Ergebnis.

Actionfigur von [dein Name] in einer Blisterverpackung, [Limited] Edition. Die Figur ist ein Miniatur-Modell einer modernen Persönlichkeit. Sie trägt [z. B. Hoodie, Anzug, Sneakers, etc.]. Drei Zubehörteile: (1) [z. B. Kaffeebecher], (2) [z. B. Laptop], (3) [z. B. Teddybär]. Verpackung mit Aufschrift‚ [dein Name] – [Slogan, Claim oder Zitat]. Hintergrund [in deiner Lieblingsfarbe], stylisher 3D-Look wie beim Produktshooting.

Das Sonnenkind der Nostalgie

Der gesunde und lebensbejahende Anteil in unserer Persönlichkeit verlangt ganz offensichtlich nach Ausdruck. Der Frühling führt einen Imperativ für Farben mit sich, der das Erwachen nach dem langen Winter und der kongressfreien Zeit auf spielerische Art überwinden will.

Der Begriff »Sonnenkind« wurde von der Psychotherapeutin Stefanie Stahl geprägt und ist der Teil in uns, der Freude, Lebendigkeit und Selbstvertrauen verkörpert. Im Gegensatz zum »Schattenkind«, das von Ängsten und negativen Erfahrungen geprägt ist, steht das Sonnenkind für positive Eigenschaften und Ressourcen. Die DMEA scheint demnach Anlass für Hoffnung zu sein. In einer Zeit, in der sich eine neue Regierung ankündigt. Die Keynote von Karl Lauterbach dürfte geschäftsführend klingen, obwohl bisher nicht durchgesickert ist, wer auf ihn folgt oder ob er womöglich bleibt.

In Bezug auf den Actionfiguren-Trend könnte man sagen, dass die spielerische Darstellung des Selbst als Actionfigur eine Manifestation des Sonnenkindes ist – ein Ausdruck von Kreativität, Leichtigkeit und der Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Die bunten, verspielten Darstellungen erlauben es uns, diesen positiven Teil unserer Persönlichkeit zu zeigen und zu zelebrieren. Verständlich, wenn man die neuen Möglichkeiten der generativen KI dazu nutzt, nicht nur eine Banderole ins Profilbild zu stricken, sondern ein klares Bekenntnis der Zugehörigkeit dokumentieren möchte.

Die Reduktion der eigenen Persönlichkeit auf ein Spielzeug mag ich an dieser Stelle nicht überinterpretieren. Jedoch könnte das auch als eine Art der Regression verstanden werden, ein unbewusster Rückzug in eine komfortablere, weniger komplexe Phase des Lebens. Wenn es mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht im gewünschten Tempo vorangeht, hilft die Parodie. Viele Menschen verbinden mit Actionfiguren positive Kindheitserinnerungen. Ein Versuch, diese unbeschwerte Zeit wieder aufleben zu lassen und dem »inneren Kind« Raum zu geben.

Die Selbstdarstellung in digitalen Räumen ist längst zu einem zentralen Aspekt der Identitätsbildung geworden. Die KI-generierte Actionfigur stellt dabei eine interessante Evolution dar. Während frühere Formen der Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken oft auf Optimierung und Idealbilder abzielten, zeigt sich hier ein neuartiger Ansatz der Repräsentation.

Identität

Vielleicht ist die Actionfigur nicht nur ein Abbild des Selbst, sondern auch eine stilisierte Version, die sich von traditionellen Porträts oder Avataren abhebt. Die Individualität wird durch die einzigartige Gestaltung der Figur betont. Wie bei einem Barcamp symbolisieren die Zubehörteile die Erinnerung an die Botschaften, mit denen sich eine Persönlichkeit umgibt. Im Vorfeld der DMEA sind das Accessoires, die die eigene Rolle im Diskurs sich verändernder Gesundheitsmärkte klarstellen sollen.

Die augenzwinkernde Inszenierung als Actionfigur kann eine ironische Distanz zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien signalisieren. Es ist ein Spiel mit der Oberflächlichkeit und dem Optimierungswahn, der dort oft herrscht. Auch auf LinkedIn teilen die meisten Nutzer persönliche Errungenschaften. Sie berichten über die Erfolge des eigenen Projekts. Alles wirkt meistens etwas zu selbstbezogen. Die Community akzeptiert das und man erlebt eine Art Ticker der Eitelkeit, der auch Newsfeed bleibt.

Das »Kokettieren« mit der Actionfigur ist also eine Art des Understatements; eine subtile Art, die eigene Bedeutung herunterzuspielen und sich so vor Kritik zu schützen. Den schon bald trifft man im realen Leben aufeinander. Alle verzichten für einen Moment bewusst auf die oft überhöhte Selbstoptimierung zugunsten einer stilisierten, spielerischen Reduktion der eigenen Persönlichkeit.

Donald Winnicotts psychoanalytisches Konzept des »falschen Selbst« bietet einen interessanten Interpretationsrahmen für dieses Phänomen. Das falsche Selbst entwickelt sich als Schutz für das wahre Selbst und ermöglicht »gesunden Menschen ein normangepasstes Verhalten«. In einer Berufswelt, die permanente Anpassung fordert, könnte die Actionfigur paradoxerweise eine authentischere Ausdrucksform ermöglichen als die üblichen beruflichen Selbstpräsentationen.

Von Winnicott stammt auch die Theorie des Übergangsobjekts. Kinder, die das häusliche Umfeld verlassen, um künftig regelmäßig einen Kindergarten zu besuchen, klammer sich vielfach an Gegenstände, die sich mit der Sicherheit des häuslichen Umfelds verbinden. Schnuffeltücher und auch die Lieblingspuppe oder der Teddybär erhalten den wichtigen Bezug zum geliebten Ort. Wenn das Spielzeug nicht verschwindet, habe ich stets meine Zuflucht zur Hand. Vergleichbares unterstelle Norbert Bolz Erwachsenen vor vielen Jahren, wenn sie in schwierigen Zeiten das Haus nicht mehr ohne ihr Smartphone verlassen, um es gelegentlich zu streicheln.

Der Avatar als Ikone des eigenen Selbst reist gewissermaßen mithilfe des Smartphones voraus und kündigt sein Kommen auf der DMEA an. Fast klingt das wie eine logische Konsequenz dieser Theorie.

Vom Umgang mit Avataren

Ein Avatar – ursprünglich ein Begriff aus dem Sanskrit für die Inkarnation einer Gottheit in physischer Form – bezeichnet heute die digitale Repräsentation eines Nutzers in virtuellen Welten. Die Actionfigur kann als eine Form des Avatars verstanden werden, die zwischen digitaler und physischer Welt vermittelt.

Interessanterweise zeigen Studien der Universität Köln, dass es bei den meisten Menschen eine zurückhaltende Tendenz gibt, sich als Avatar anders darzustellen, als man tatsächlich ist. In Hardcore-Influencer-Kreisen mag das anders sein. Trotzdem neigen manche, dem eigenen virtuellen Abbild idealisierte psychologische Attribute zuzuweisen. Dies erklärt möglicherweise, warum die derzeit im Umlauf seienden Actionfiguren zwar äußerlich nicht heroisch erscheinen, aber durch ihre Präsentation in einer Sammlerverpackung mit persönlichem Etikett dennoch eine Aufwertung erfahren.

Übertragen auf das digitale Phänomen könnte dies bedeuten, dass erst ein Umfeld, das Spielerisches und Imperfektes akzeptiert, Echtheit ermöglicht. Die Actionfigur als bewusst künstliches, aber dennoch persönliches Selbstbild könnte als Versuch verstanden werden, zwischen diesen beiden Aspekten des Selbst zu vermitteln – sie ist weder komplett »falsch« noch vollständig »wahr«, sondern existiert in einem kreativen Zwischenraum.

Gemeinschaft und Zugehörigkeit

Der von Michael Seemann geprägte Begriff des digitalen Tribalismus beschreibt, wie sich im Internet digitale Stämme formieren, die ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. Der Actionfigur-Trend im Kontext einer Branchenmesse zeigt exemplarisch, wie solche Stammesbildungen funktionieren.

Tribalismus basiert auf einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis. Menschen neigen dazu, ihre Stellung als Individuum immer in Beziehung zu eine Peer-Group zu definieren. Dies ist besonders relevant in einer Zeit, in der soziale Medien paradoxerweise sowohl Vernetzung als auch Vereinzelung fördern.

Die Teilnahme am Actionfigur-Trend kann als ritualisierte Handlung verstanden werden, die Zugehörigkeit zum »Stamm« signalisiert. Obwohl soziale Medien oft als individualistisch kritisiert werden, können sie auch zur Bildung von Gemeinschaften beitragen. Der Actionfiguren-Trend kann als eine Art Gruppenzugehörigkeit gesehen werden. Ein »tribalistisches Treiben« würde ich das nennen. Die Teilnahme an diesem Trend signalisiert anderen, dass man Teil einer bestimmten Gruppe ist oder sein will. Ähnliche Interessen oder Werte zu teilen, ist nicht weniger modern geworden. Im Gegenteil. Die Zugehörigkeit zu einer Community kann ein grundlegendes menschliches Bedürfnis befriedigen.

Bewältigung von Unsicherheit

Der Aufbruch im Kongressjahr 2025 ist von Unsicherheit und Wandel gekennzeichnet. Eigentlich nichts Neues für Gesundheitsakteure. Die spielerische Selbstdarstellung als Actionfigur kann eine Möglichkeit sein, Kontrolle über das eigene Image zu gewinnen. Die Gestaltung der eigenen Figur ermöglicht es, sich selbst in einer idealisierten und beherrschbaren Form zu präsentieren. Die Reduktion der eigenen Persönlichkeit auf eine einfache, spielzeughafte Form kann auch als eine Art der Bewältigungsstrategie dienen, um mit der Komplexität und den Herausforderungen der realen Herausforderungen im Gesundheitswesen umzugehen. Ich gestehe ein, dass das für den einen oder anderen nach zu viel Küchenpsychologie klingt. Lassen wir das einmal so stehen.

Nur das noch: Es ist unbestreitbar, dass der Trend auch narzisstische Züge aufweist. Die Selbstdarstellung als harmlose Actionfigur ist eine Form der Selbstinszenierung, bei der das Individuum im Mittelpunkt bleibt. Der Satz »Ich war hier«, den niemand nie nicht auf eine Klotür geschrieben hat, wird ersetzt durch die Ankündigung »Ich werde dort sein«.

Dieser Narzissmus muss nicht immer negativ sein. In einem gewissen Maß kann er auch Ausdruck eines gesunden Selbstwertgefühls und des Wunsches nach Anerkennung sein. In diesem Sinne.

Actionfigur als Metapher der Kommodifizierung

Die Darstellung als Actionfigur im beruflichen Kontext wirft interessante Fragen über die Kommodifizierung der eigenen Arbeitskraft auf. Marx sprach davon, dass der Arbeiter (damals) seine »Haut zu Markte« tragen müsse. Inszenieren sich Menschen, die sich in einen Blister packen, bewusst als konsumierbare Waren in Form von Spielzeugfiguren. Diese scheinbar paradoxe Entwicklung spiegelt die Transformation der Arbeitswelt wider.

Im Kontext der New Work, wo persönliche Markenbildung und Selbstvermarktung zentrale Elemente des beruflichen Erfolgs sind, erscheint die Actionfigur als zeitgemäße Metapher: Sie verkörpert gleichzeitig Individualität und Standardisierung, Authentizität und Künstlichkeit. Die »Verpackung« der eigenen Person als Konsumgut wird nicht mehr als Entfremdung empfunden, sondern als kreative Form der Selbstermächtigung zelebriert. Zum Glück tendieren die Figuren derzeit nicht zur vulgären Form des Übermenschen im Supermannkostüm.

Die Dialektik bleibt trotzdem. Die spielerische Selbstobjektivierung als Actionfigur könnte als Strategie verstanden werden, die Spannung zwischen ökonomischer Notwendigkeit und persönlicher Autonomie aufzulösen. Indem man sich selbst als »Sammlerstück« inszeniert, nimmt man der Kommodifizierung der eigenen Zeit in Arbeit die Bedrohlichkeit und verwandelt sie in einen Akt der Selbstbestimmung.

Schlussfolgerung

Der Trend, sich selbst als Actionfigur darstellen zu lassen, ist mehr als nur ein flüchtiges Internet-Phänomen. Er spiegelt fundamentale psychologische Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, authentischer Selbstdarstellung und spielerischer Identitätsarbeit wider.

In einer Branche, die seit Jahren mit Ressourcenknappheit und Digitalisierungsängsten kämpft, funktioniert dieser Trend als gemeinschaftsstiftendes Ritual. Er ermöglicht es, sowohl die Beherrschung neuer Technologien (KI-Bildgenerierung) zu demonstrieren als auch eine ironische Distanz dazu einzunehmen. Die Actionfigur wird zum Symbol für die Ambivalenz gegenüber der eigenen beruflichen Identität – sie wird gleichzeitig bejaht und spielerisch infrage gestellt.

Die Verwendung fortschrittlicher Technologie zur Erschaffung eines bewusst reduzierten, kindlichen Abbilds verkörpert den Widerspruch einer Branche, die zwischen Innovation und Tradition, zwischen Ernst und Spiel, zwischen individuellem Ausdruck und Gemeinschaftszugehörigkeit navigiert.

In diesem Sinne ist die KI-generierte Actionfigur ein komplexes psychologisches Symbol, das die Spannungen und Sehnsüchte unserer digitalen Existenz verkörpert – eine spielerische Lösung für die ernsten Fragen nach Identität, Authentizität und Gemeinschaft in einer zunehmend fragmentierten digitalen Welt.

Die Zukunft der digitalen Selbstdarstellung

Die Entwicklung solcher Trends verdeutlicht, dass wir uns in einer Phase des Experimentierens mit digitalen Identitäten befinden. Nach einer Ära der übermäßigen Selbstinszenierung könnten wir, wie die Medienpsychologin Sabine Trepte vermutet, …

… in eine Ära der Authentizität eintreten. 

Die Actionfigur-Darstellung könnte ein Indiz für diese Entwicklung sein.

Alles das steht in einer langen kulturellen Tradition der Selbstdarstellung, die als anthropologische Konstante gelten darf. Selbstdarstellung nutzt heute lediglich die Mittel ihrer Zeit, um einem zeitlosen menschlichen Bedürfnis Ausdruck zu verleihen – dem Wunsch, gesehen, verstanden und als Teil einer Gemeinschaft akzeptiert zu werden.

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Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Kommunikations-designer. Auch bekannt als @betablogr.

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