Updated

April 16, 2025

Tonspur jugendlicher Moralität

Vom Klagelied der Generationen zwischen progressiver Revolution und konservativem Widerstand

Social Concern

Das Phänomen der hochsensiblen und empathischen Kinder, die im Text erwähnt werden, führt zu einer Zunahme des Bedarfs an Fürsorge und Verständnis in der Gesellschaft, während gleichzeitig die Fähigkeit zur emotionalen Entkopplung und rationale Urteilsbildung abnehmen kann.

English

Der Text untersucht die moralischen Bedürfnisse jüngerer Generationen und den Konflikt zwischen progressiver Revolution und konservativem Widerstand.

Drüben auf LinkedIn habe ich mich kürzlich an einer Diskussion beteiligt, die sich um die besonderen Bedürfnisse jüngerer Generationen dreht. Ich blieb dort hängen, weil ich mich an das Ende der Neunzigerjahre kolportierte Auftauchen angeblicher Indigokinder erinnerte. Eine Hypothese, die sich dem Phänomen sogenannter Problemkinder mit einer positiven Umdeutung widmete.

Die scheinbar schwierigen Kinder haben etwas Besonderes, wurde gesagt. Sie wurden als Wegbereiter einer neuen Zeit bezeichnet und seien nicht einfach nur verhaltensauffällig? Lee Carroll und Jan Tober haben in ihrem Bestseller Experten aus verschiedenen Fachbereichen versammelt, die diese neue Generation mit Kompetenz und Wertschätzung betrachteten. Ich habe damals dieses Buch gelesen.

In diesem Essay hier und heute habe ich mir vorgenommen, über Kinder zu reden. Ansonsten spreche ich gern mit ihnen, wenn auch nicht mit wissenschaftlichem Eifer. Deshalb wenden wir uns der moralpsychologischen Arbeit von Jonathan Haidt zu und beschäftigen uns in diesem Zusammenhang mit der moralphilosophischen Perspektive von Philipp Hübl, den ich ausdrücklich in der Familie meiner Lehrerinnen und Lehrer begrüßen möchte. Leser, die mir etwas Zeit geben, erfahren dann vielleicht noch, warum Aristoteles in seiner Einschätzung falsch gelegen haben konnte, wenn er empfiehlt, politische Abwägung besser ohne die Jugend zu vollziehen.

Aufschlag zur Diskussion

Der LinkedIn Beitrag besagt zusammenfassend das Folgende. Ich zitiere einige Fragmente.

Viele hochsensitive und empathische Kinder fühlen sich in dieser Welt oft fremd – sie ›verstehen dieses Spiel hier nicht‹ und möchten manchmal ›die Erde verlassen‹. Auch Erwachsene kennen dieses Gefühl der Überforderung und Sehnsucht nach einem Ort des Friedens. Es geht dabei nicht um Suizidalität, sondern um die tiefe Sehnsucht nach ›Zuhause‹. Diese Kinder benötigen keine Diagnose, sondern Menschen, die ›ihnen den Raum geben, sich zu öffnen‹ und die ›aus dem Herzen führen‹ wollen. Sie bedürfen der Erinnerung, dass sie ›richtig sind, genau so, wie sie sind‹.

Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch, dass es sich bei dem Beitrag um die Einladung zu einer Ausbildung für Menschen handelt, die aus dem Herzen führen und die Welt wertschätzender gestalten wollen. Ich stehe in keiner Verbindung zu dem Angebot, sondern nutze lediglich die Inspiration des Beitrags, um meine je eigene Position darzulegen.

Also fragte ich unter dem Beitrag, ob das im Beitrag beschriebene Phänomen endlich die Ankunft der Indigokinder beweist? Etwas verunsichert erreichte mich eine Antwort, wie das gemeint sein könnte. Ich gestand, das ich das als Frage und Trigger verstanden wissen wollte und mich damit an jene richte, die sich mit der Indigo-Kinder-Hypothese beschäftigt haben. Als junger Vater war ich davon fasziniert und sah es als Hoffnungszeichen. Die Theorie ist heute umstritten und gilt als esoterisch – möglicherweise zurecht. Nach 25 Jahren betrachte ich das Thema deutlich differenzierter.

Generation Angst

Jonathan Haidt ist Mitbegründer der Moral-Foundation-Theory (MFT). Zuletzt hatte Jonathan Haidt mit seinem Buch Generation Angst größere Aufmerksamkeit erlangt. Darin schreibt er, dass die Nutzung von Social Media verstärkt psychische Probleme bei Jugendlichen verursacht, weil sie direkte Interaktionen und freies Spiel beeinträchtige. Als Lösung schlägt er vor, Social Media und Handys an Schulen einzuschränken, um direkte Interaktionen zwischen Kindern zu fördern.

Eine Kritik unterstellt Haidt, er sehe Social Media durchgängig so, wie sie ältere weiße Professoren eben erleben: Als ein Ort, an dem ihnen Menschen widersprechen und sich über sie lustig machen. Darin kann erkannt werden, was oben schon beschrieben wurde. Weniger das Auftauchen von Indigokindern. Vielmehr verschärft sich die beschleunigte Drift zwischen den Generationen. Würden wir unsere Kinder ernst nehmen, würden wir Ihnen nicht nur ein Etikett geben, das sie zu digitalen Eingeborenen macht. Wir würden uns ihren Perspektiven umfänglicher widmen, um zu erfahren, wie wir als Generationen besser zusammenfinden und tätig zusammenhandeln.

Junge Menschen unterhalten digital multiple Beziehungsgeflechte. Scheinbar verändert sich die soziale Teilhabe und rangiert bereits auf einem Niveau, das alle vor 1980 Geborenen abhängt. Ob das gut oder schlecht ist, lässt sich heute nicht treffend sagen. Jede technologische und kulturelle Revolution hinterlässt Spuren, und ich betone hier ausdrücklich, dass Social Media nicht vergleichbar sind mit den Beatles, dem Walkman oder der Personal Computer. Wir sollten schon achtsam bleiben, aber eben nicht übergriffiger werden, als es uns als Elterngeneration zusteht. Denn, und das wird in diesen aufgeregten Zeiten immer deutlicher. Emotionen sind dann kein guter Kompass, wenn wir sie zunächst entkoppelt von der Vernunft betrachten.

Maren Urner argumentiert zuletzt, dass Emotionen nicht – wie oft angenommen – dem rationalen Denken im Weg stehen, sondern eine zentrale, konstruktive Rolle für unser Denken, Entscheiden und gesellschaftliches Handeln spielen. Sie kritisiert die verbreitete Trennung zwischen »Vernunft« und »Gefühl« als überholt und plädiert dafür, Emotionen als integralen Bestandteil rationaler Urteilsbildung und kollektiver Problemlösung zu begreifen. Das jedoch setzt voraus, dass wir Denken als einen Sinn verstehen, unsere Identität nicht mit unserem Gehirn verwechseln und den jüngeren Generationen ihre Vernunft nicht absprechen, weil wir ihre Emotionen überzeichnen, weil wir selbst emotional sind. Klären wir das also.

Moralpsychologische Prinzipien

Seit sich die Wissenschaften verstärkt mit dem emotionalen Teil menschlicher Existenz beschäftigen, wird sich gestritten. Der Dissens beschreibt sich entlang der Bedeutung, die wir Emotionen einräumen, um zu moralischen Urteilen zu kommen. Die Lager lassen sich vereinfacht als die der Sentimentalisten und der Rationalisten umkreisen.

Die Moral-Foundation-Theory (MFT) ist international eine der einflussreichsten und meistdiskutierten Ansätze der empirischen Moralpsychologie. Sie wurde vom bereits erwähnten Jonathan Haidt, Jesse Graham, Craig Joseph und anderen entwickelt und seit den 2000er Jahren in zahlreichen Studien validiert, insbesondere im Vergleich von politischen und kulturellen Gruppen. Die sechs Grundlagen (Foundations) sind empirisch gut belegt, speziell die Clusterbildung progressiver und konservativer Moralprofile.

Gestritten wird derzeit noch um die Schlussfolgerungen zur Gewichtung oder Reihenfolge von Intuition und Kognition, oder einfacher ausgedrückt: Gestritten wird, ob wir unseren Emotionen ausgeliefert sind oder vermögend genug sind, entlang einer rationalen Abwägung intelligenter mit unseren Emotionen zu moralischen Urteilen zu gelangen.

Tatsächlich scheint es einige biologische Festlegungen zu geben, die wir durch einen Akt der Selbstzensur in eher zivilisiertes Verhalten verlagern können. Unsere Skepsis vor Fremdheit scheint im limbischen System unseres Bewusstseins recht festgeschrieben zu sein. Erst durch einen Gedanken mehr lässt sich daraus resultierende Vernunft arrangieren, das Fremde nicht als Gefahr zu umrahmen. Das wird sogar intuitiv nachvollziehbar, wenn wir uns darüber wundern, warum wir das Treiben in einer Großstadt ertragen. Nach einer ersten Überforderung gewöhnen wir uns an das Fremde oder erkennen eine Großstadt als unser natürliches Habitat, wenn wir dort aufgewachsen sind. In einer Großstadt begegnen wir so vielen fremden Menschen, das es zum Lebensstil dazugehört. Gerade junge Menschen sind von der Stadt aus genau diesen Diversitätsgründen fasziniert. Womöglich sind die negativen Emotionen gegenüber dem Fremden einer älteren Bevölkerung im vergleichsweise ethnisch homogenen ländlichen Raum so zu erklären.

In den vergangenen Tagen habe ich mich mit Philipp Hübls Buch »Die aufgeregte Gesellschaft« beschäftigt. Darin greift er die sechs moralpsychologischen Prinzipien auf und entwickelt diese über den reinen Sentimentalismus hinaus weiter. Obwohl Hübl sich inhaltlich stark auf die MFT stützt, ordnet er Jonathan Haidt im Buch als »Sentimentalist« ein. Damit spielt er auf Haidts These an, dass moralische Urteile primär emotional (intuitiv) und nicht rational (kognitiv) getroffen werden. Hübl teilt diese Grundannahme des Moralpsychologen, grenzt sich aber als Philosoph in der Frage ab, wie weit Vernunft und Reflexion in der moralischen Entwicklung und im gesellschaftlichen Fortschritt eine Rolle spielen.

Er betont, dass wir unseren Emotionen nicht ausgeliefert sind, sondern moralische Selbstbestimmung und Fortschritt möglich bleiben – ein Akzent, der bei Haidt weniger ausgeprägt ist.

Die sechs moralpsychologischen Prinzipien lauten im erwähnten Buch: Fürsorge, Fairness, Freiheit sowie Autorität, Loyalität und Reinheit. Die Clusterbildung vollzieht sich entlang von zwei Weltperspektiven. Fürsorge, Fairness und Freiheit bilden den progressiven Block. Autorität, Loyalität und Reinheit formieren sich zum konservativen Weltbild. Jeder Mensch in jeder Kultur führt alle sechs Prinzipien mit sich. Je nach Sozialisation, Erfahrung und der Kompetenz in Reflexion und analytischem Denken verändert sich die Konstellation. Hübl übernimmt also die Prinzipien als Analysewerkzeug, betont aber stärker als Haidt die Möglichkeit moralischer Selbstreflexion und Vernunft. Demnach wären wir unseren Emotionen nicht ausgeliefert (Sentimentalismus), sondern haben Macht über sie. Die Voraussetzungen jedoch müssen gegeben sein.

Kulturelle Vorausschau

Kern meiner Arbeit ist es, die kulturelle Vorausschau als strategisches Managementinstrument zu etablieren. Dazu nutzen wir eine Form der kausalen Schichtenanalyse (Causal Layered Analysis). Die Methode gehört zu den kritisch reflexiven Methoden der Zukunftsforschung, und wir übertragen diese stärker auf die kulturelle Entwicklung als üblich.

Widmen wir uns der Welt auf der Schicht der Bilder, kommen wir an der Entstehung von Ideologien nicht vorbei. Analysieren wir die Lage entlang der zuvor beschriebenen Moralprinzipien nach der MFT, erkennen wir fernab der Litaneien, was gerade in der Welt los ist.

Gegenwärtig formiert sich weltweit konservativer Widerstand gegen die progressive Revolution*, deren Ziele scheinbar mit jeder Generation auf einem neuen Niveau erscheint.

Um den konservativen Widerstand zu verdeutlichen: Von US-amerikanischen Universitäten wird seitens der zweiten Trump-Administration Autorität ausgeübt, die Loyalität einfordert. Eines von zahlreichen abverlangten Bekenntnissen ist das der Reinheit; nämlich wenn die Harvard-Universtität die Berücksichtigung von Diversität bei der Zulassung an der Hochschule einschränken soll. Für diesen Fall sind gleich alle drei konservativen Prinzipien erfüllt. Zuletzt habe ich im Essay Aufrüsten von Empathie über die neuropolitischen Fehlschlüsse des US-Vizepräsidenten geschrieben, die zu der hier geäußerten Perspektiven passt.

Ein hochbegabtes Kind mit der Fabrik für Elektrofahrzeuge und einer Faszination für eine Kolonie auf dem Mars titulierte Empathie zuletzt nicht unbemerkt vom progressiven Lager als größte Schwäche für die westliche Zivilisation.

Auch in Deutschland spricht man in diesen Monaten vom Rechtsruck, der als Antwort auf angeblich zu wache (woke) Ansichten verstanden werden will. Gefährlich wird es, wenn das Konservative damit beginnt, Fakten zu schaffen, denen bis auf Weiteres nicht mit Appellen an die Fürsorge, die Fairness (Gerechtigkeit) und Freiheit beizukommen ist. Viele Progressive empfinden die derzeitigen Entwicklungen daher als Rückschritt. Wer sich für den in dieser Form des Konservativen eingebauten Illiberalismus interessiert, wird an diese Publikation verwiesen.

Konservativ möchte ich hier ausdrücklich nicht per se als negativ kennzeichnen. Ich selbst würde mich bisweilen als Gemüts-konservativ bezeichnen. Ich bin in einem in seinen Resten streng katholischen Umfeld aufgewachsen; also war dem konservativen Habitus bis fast zu meinem zwanzigsten Lebensjahr ausgesetzt. Lange habe ich zwischen den Stühlen gesessen und bezeichne mich heute als progressiv, gehe trotzdem gern auf die im Sauerland üblichen Schützenfeste, engagiere mich im katholisch geprägten Heimat- und Geschichtsverein und widme mich der Historizität, um besser zu verstehen, warum die Menschen hier mit Holzgewehren herumlaufen, um sich ihre Gemeinschaft zu versichern. Nach einigen Fluchtversuchen komme ich klar.

Die Wählerschaft im Wahlkreis des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz gab der CDU bei der Europawahl 2024 über 80 % ihre Stimme. Hier lässt es sich gut leben. Manchmal verzweifelt man am Weltbild der Mitbürger. Doch seit einiger Zeit weiß ich, dass ich das nicht kulturrelativistisch einordnen darf. Der Relativismus ist der natürliche Feind der Objektivität. Warum das so ist, habe ich hier aufgeschrieben. Denn seit Jahrzehnten ist trotz konservativem Wahlverhalten erkennbar, wie sich ein erzkonservativer Landkreis progressiv verändert hat.

Kinder, die Fürsorge, Fairness und Freiheit einfordern.

Kommen wir zurück zu den eingangs erwähnten Kindern. Ich möchte die Hypothese von den Indigokindern nicht verstärken, sondern den progressiven Anteil in der Theorie würdigen. Als Erinnerung hier noch einmal das, was in dem erwähnten LinkedInbeitrag angeboten wurde.

Viele hochsensitive und empathische Kinder fühlen sich in dieser Welt oft fremd – sie ›verstehen dieses Spiel hier nicht‹ und möchten manchmal ›die Erde verlassen‹. Auch Erwachsene kennen dieses Gefühl der Überforderung und Sehnsucht nach einem Ort des Friedens. Es geht dabei nicht um Suizidalität, sondern um die tiefe Sehnsucht nach ›Zuhause‹. Diese Kinder benötigen keine Diagnose, sondern Menschen, die ›ihnen den Raum geben, sich zu öffnen‹ und die ›aus dem Herzen führen‹. Sie bedürfen der Erinnerung, dass sie ›richtig sind, genau so, wie sie sind‹.

Wir dürfen anerkennen, dass das Auftauchen dieses Phänomens keine neuere Entwicklung ist, sondern immer schon vorkam, neuerdings aber weniger weg erzogen wird. Nach meiner Auffassung passiert das alles schon seit mindestens 50 Jahren. Aus mehreren Gründen mag ich mich selbst darin spiegeln. Obwohl ich mit Jahrgang 1974 aufgrund meines Status Ü50 nicht in das Raster passe. Wenn Kinder, die Fürsorge einfordern und autoritäre Systeme hinterfragen, dem progressiven Spektrum zugeordnet werden, dann bin ich progressiv. Fairness und Freiheit scheinen ebenfalls besonders stark in jüngeren Generationen verankert zu sein.

Worauf ich hinaus will. Die Beobachtungen zum Bedürfnis nach Fürsorge aus dem ursprünglichen Thread legen nahe, dass wir derzeit erleben, wie die progressive Bewegung sich windet, den richtigen Hebel zu finden, der als unausweichlich zu bezeichnenden Revolte des gesellschaftlichen Fortschritts eine neue Stimme zu verleihen.

Übrigens. Der Begriff der progressiven Revolution sollte nicht mit einem Progressivismus oder Akzelerationismus verwechselt werden. Eine solche Sichtweise würde die tiefgreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich über Generationen vollziehen, auf eine rein technologische oder ökonomische Beschleunigung reduzieren. Stattdessen geht es um einen fundamentalen Wandel in den moralischen Grundwerten und sozialen Beziehungen.

Diese Unterscheidung ist wichtig, weil sie uns hilft zu verstehen, dass echter gesellschaftlicher Fortschritt nicht durch die große Beschleunigung von Innovationen erreicht wird, sondern durch tiefgreifende Transformation der kulturellen und moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Technologieoffenheit gut und schön. Veränderungen benötigen Zeit, um Wandel zu sein. Reflexion und vor allem die aktive Teilnahme aller Generationen am gesellschaftlichen Dialog, ist unausweichlich. Der derzeitige konservative Widerstand orientiert sich ausschließlich an altvorderem Wissen und fragwürdigen Traditionen. Ihm fehlt häufig der zwanglose Zwang des besseren Arguments. Jüngere, progressive Generationen erscheinen mir argumentativ häufig richtiger zu liegen.

Während der Bundestagswahl 2025 haben wir zwar auch unter jungen Menschen einen Rechtsruck gemessen. Mit Philipp Hübl habe ich verstanden, dass wir eines schaffen müssen. Die jungen Generationen müssen ins Gespräch geholt werden. Seit mindestens zwei Jahrzehnten vollzieht sich durch die Demografie vieler westlicher Länder eine Tendenz zur Gerontokratie; also eine Herrschaft der Alten durch die Dominanz bei Wahlentscheidungen. Angeblich werden wir konservativer, wenn wir älter werden. Manch Jüngere kompensieren den Mangel an Zukunftsoffenheit dadurch, dass sie sich radikalisieren und die Alten im Wahlverhalten noch übertreffen wollen. Vielleicht ist Trotz für manche der passende Ausdruck, der oben beschriebenen Verlorenheit etwas Emotionales entgegensetzen zu wollen. Womöglich ist der Reflex, die Wahlstimme einer Partei an den Rändern des Verfassungsbogens zu geben, jene verkappte Progressivität, die Freiheit zu betonen, sich von der spießigen Bürgerlichkeit loszusagen und die Frage nach dem System (noch) nicht durch Gewalt, sondern entlang eines neuropolitischen Fehlschlusses entlang des Prinzips der Fürsorge auszudrücken.

Der konservative Widerstand geht grundsätzlich von den Altvorderen aus, die sich vor wacheren Weltbildern ekeln, weil sie auf Fleisch verzichten, dafür aber auf Diversität und gelesener Geschlechtlichkeit bestehen. Das hemmt allenfalls die progressive Revolution.

Für die USA darf man hinsichtlich einer schnellen Umkehr auf den Pfad der Tugend der Progressivität pessimistischer sein, da sich hier seit der Nachkriegszeit der Postmodernismus aufgrund einer sich selbst überfordernden Konsumtreue durchgesetzt zu haben scheint. Die unterschiedlichen Formen des Kapitalismus übertragen sich dort in atemberaubender Geschwindigkeit auf das Feld der Politik. Die transaktionale Logik des Dealmakings ist im Weißen Haus angekommen. War Kapitalismus einst Problemlösungskompetenz durch kluges Wirtschaften, wird vergleichbares womöglich nicht auf gesellschaftspolitische Deliberation übertragbar sein.

Europa wirkt trotz rechtspopulistischer Tendenzen sensibler als die Vereinigten Staaten. Das lässt hoffen, das wir nicht durch eine vergleichbare Misere gehen müssen wir die Amerikaner. Und doch sind wir betroffen, wenn dieser Koloss die Weltwirtschaft aus ihren Fugen hebt.

Aristoteles meint, dass politische und ethische Fragen nicht nur theoretisches Wissen erfordern, sondern praktische Einsicht, die aus Erfahrung erwächst. Junge Menschen, so seine Auffassung, würden sich stärker von Leidenschaften (Emotionen) leiten lassen und könnten daher die Zwecke des politischen Handelns nicht richtig einschätzen. Diese Äußerung findet sich in der Nikomachischen Ethik, die seit 2.300 Jahren immer wieder gern zitiert wird, wenn die jüngeren Generationen in Schach gehalten werden sollen. Vielleicht ist das sogar richtig. Unsere Kinder verfügen bis jetzt nicht über ausreichende Erfahrungen. Welche Erfahrungen sie jedoch machen, liegt in unserer Verantwortung, und wir sollten sie entgegen der Empfehlung um Rat bitten, was sie benötigen.

Klar geworden ist hoffentlich, dass die Dynamik zwischen progressiver Revolution und konservativem Widerstand eine menschliche Konstante ist, deren gradueller Überhang noch nie den Untergang der Welt bedeutet. Selbst dann nicht, wenn wir die dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte durchschritten haben. Ein Fortschritt läge also darin, den jungen Generationen mehr Einfluss zu geben, damit sie besser urteilen können, was der Mensch benötigt, wenn sie selbst die Geschicke der Welt mitbestimmen. Fürsorge, Fairness und Freiheit.

— — —

*Der Begriff der Revolution erscheint unpassend, wenn wir über Veränderungen sprechen, die sich über Generationen entfalten. Selbst die landwirtschaftliche Revolution benötigte etwa 3000 Jahre. Die Bezeichnung »progressive Revolution« wird hier dennoch bewusst verwendet, um die Tendenz und Intentionalität der eingangs erwähnten Generationen und ihrer Empfindungen zu verdeutlichen.

Frank Stratmann
Unterschrift Frank Stratmann

I'm Frank Stratmann - an experienced foresight and communication designer who is passionate about working with healthcare professionals. Also known as @betablogr.

AVAILABLE FOR WORK

Frank Stratmann
Unterschrift Frank Stratmann

I'm Frank Stratmann - an experienced foresight and communication designer who is passionate about working with healthcare professionals. Also known as @betablogr.

AVAILABLE FOR WORK

Disclaimer

Disclaimer

We utilize AI-powered methods for initial research and generate drafts that we carefully review and refine. Our editorial processes ensure that all AI-generated content is validated and checked for accuracy. External sources and web content are always marked with appropriate references and integrated into our research. The quality and reliability of our content are our top priority. We are happy to provide information about the original source and our validation process.