Das schwöre ich im Antlitz der Sterne

Mittwoch, 9. April 2025

„Zu beschäftigt, um sich zu verbessern“ ist der gefährliche Luxus, der uns wie Javert an starren Überzeugungen festhalten lässt. Wahre Ordnung erfordert die Bereitschaft zur Transformation und das Hinterfragen unserer Mythen. Wachstum beginnt mit Veränderung.

Sora und selbst entwickelter Prompt

This I swear by the Stars.

Beim Ansatz für Cultural Foresight analysieren wir in Schichten kulturelle Zusammenhänge, um uns die Erkenntnisse im Rahmen einer Rekonstruktion zunutze zu machen. Die tiefste Schicht ist die der Mythen und Metaphoriken. Bringen wir das einmal mit der Phrase zusammen: »Too busy to improve«.

Diese mythologische Dimension lässt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel der Geschichte Les Miserables von Victor Hugo aufzeigen. Die Verknüpfung von Sternen, Gerechtigkeit und göttlicher Ordnung manifestiert sich hier in einer der eindringlichsten Szenen des Werks. In dieser dramatischen Sequenz verschmelzen archetypische Motive mit persönlichem Konflikt und institutioneller Starrheit zu einem zeitlosen Narrativ über Moral, Wandel und die Grenzen menschlicher Überzeugungen. Was passiert, wenn man das operative Tagesgeschäft nicht mit einer gelingenden Zukunft überein bekommt, lernen wir von Polizeiinspektor Javert.

Folge diesem Link und erlebe Stars aus Les Miserables, um noch besser zu verstehen, was mit diesem Beitrag gemeint sein könnte.

Im Antlitz der Sterne

Javert steht auf dem Dach der Notre Dame. Im Paris des Jahres 1832 gibt es wohl kaum einen dunkleren Ort, um die Jagd nach Jean Valjean zu reflektieren. Er vermutet ihn nicht weit entfernt, draußen in der Dunkelheit. Ein flüchtiger Verbrecher, der in Ungnade gefallen ist. Er wendet sich an Gott als seinen Zeugen, niemals aufgeben zu wollen. Wer den Pfad der Gerechten verlässt, erfährt seine gerechte Strafe.

Dann wendet er den Blick zum Firmament und entdeckt die Sterne in ihrer über jede Vorstellung hinausragenden Zahl. In Ihnen will er jene Ordnung und das Feuer erkennen, das auch ihn antreibt. Ein Akt der Verbrüderung findet Ausdruck in der Ballade Stars im Musical zu Victor Hugos Meisterwerk Les Miserables. So wie Sterne ihren Kurs halten, schwört er sich selbst die Treue und ahnt nicht, wie nahe am Abgrund der inneren Zerrissenheit er bereits in diesem Moment steht. Er glaubt immer noch fest an die Losung, dass jene, die zweifeln und jene, die fallen, den Preis dafür zu zahlen haben.

Erneut wendet er sich an Gott. Dieses Mal mit der Bitte, den flüchtigen Jean Valjean ausfindig zu machen. »Herr, lass mich ihn finden«, fleht er in die Nacht. So, dass die Welt von dem Übel befreit wird. Javert schwört. Er schwört im Antlitz der Sterne. Er wird Jean Valjean wegsperren.

Wer den Roman »Die Elenden« nicht kennt, sollte wissen, dass Jean Valjean ein untergetauchter Galeerensträfling ist, der 19 Jahre auf einem der Gefängnisschiffe bei Toulon den Diebstahl eines Brotes verbüßt hatte. Bis er auf Bewährung freikam und nach der Begegnung mit dem Bischof »Euer Gnaden« Myriel untertauchte, um weiterem Unrecht zu entgehen. Sein Leben sollte weiterhin von der Flucht bestimmt sein. Jedoch gelingt es ihm, dem Auftrag des Herrn Myriel zu entsprechen und ein guter Mensch zu werden. Das wiederum ist in der konstitutionellen Monarchie unter der Herrschaft der Bourbonen gar nicht so leicht. Er wird Bürgermeister eines kleinen Ortes, in dem er auch eine Manufaktur gründet. Als größter Arbeitgeber trifft er wieder auf Javert, der mittlerweile Karriere gemacht hat. Den Posten auf den Galeeren hat dieser hinter sich gelassen. Als Polizeiinspektor untersteht dieser seinem ehemaligen Sträfling, was zu einigen Turbulenzen im weiteren Verlauf der Geschichte führt.

Mythos und Versessenheit

Das Buch Les Miserables wurde im Jahre 1862 veröffentlicht. Für mich ist es ein zeitloses Werk und durch und durch vom Humanismus geprägt. Es ist ein Zeugnis für moralischen Fortschritt, nicht nur, weil wir aus der damals noch weit entfernt erscheinenden Zukunft auf die Umstände Frankreichs schauen. Im Laufe der als Bourbonen-Restauration bekannten Zeit von 1816 bis 1830 ist Javert nicht nur jene Figur, die den Helden der Geschichte jagt, sondern auch jene Institution, die es nicht schafft, den eigenen Mythen zu entkommen. Das Handeln eines Jean Valjean führt ihn immer näher an den Zweifel heran. Er erlebt in zahlreichen Begegnungen, wie Jean Valjean unter massivem Druck und im Rahmen der zahlreichen Fluchtepisoden es schafft, immer und immer wieder dem Auftrag zu folgen, den ihm einst der Bischof auftrug.

Der Humanismus des Jean Valjean übertrifft die Regeln des gottesfürchtigen Javert, was dessen Selbstzweifel auf immer neue Höhen treibt.

Diese Zweifel räumt Javert am 7. Juni 1832 aus, in dem er sich aus einer Höhe in die Seine stürzt. Wie zuvor Jean Valjean entzieht sich Javert seinem Schicksal in Gestalt einer Flucht, die seine Existenz abrupt beendet.

Javert resolves these doubts on June 7, 1832, by throwing himself from a height into the Seine. Like Jean Valjean before him, Javert escapes his fate in the form of a flight that abruptly ends his existence.

Während Jean Valjean diese Kehre nach der Begegnung mit dem Bischof in einem Akt der Befreiung vollzieht, wird Javert durch seinen Suizid, längst Sträfling seiner eigenen Zerrissenheit, zum Opfer seines Starrsinns.

Zu beschäftigt für Verbesserung

Victor Hugo hat uns mit Les Miserables ein Werk hinterlassen, das uns eindrücklich vor Augen führt, was geschieht, wenn wir unsere Mythen nicht hinterfragen. Javert scheitert nicht an Jean Valjean, sondern an seiner eigenen Unfähigkeit, die Welt jenseits seiner fest gefügten Überzeugungen wahrzunehmen. Seine Tragik liegt darin, dass er bis zuletzt an einer Ordnung festhält, die keinen Raum für Wandel und Entwicklung lässt.

Too busy to improve: Zu sehr beschäftigt zu sein, um unsere Grundüberzeugungen zu hinterfragen, ist wie Javerts Starrsinn – ein gefährlicher Luxus in einer Welt, die ständigen Wandel erfordert.

Wir müssen uns unseren eigenen Mythen stellen. Auf der persönlichen und auf der Ebene unserer Organisationen und Institutionen, die uns anvertraut wurden oder die wir mitgestalten. Nur wenn wir bereit sind, unsere grundlegenden Annahmen zu hinterfragen und neue Perspektiven zuzulassen, können wir wachsen und uns weiterentwickeln. Anders als Javert müssen wir lernen, dass Veränderung nicht Chaos bedeutet, sondern die Chance auf Verbesserung. Die wahre Ordnung des Universums liegt vielleicht gerade in seiner Fähigkeit zur Anpassung – eine Lektion, die Javert nicht mehr lernt, die aber für uns heute wichtiger ist denn je, damit unsere Institutionen sich nicht selbst infrage stellen.

Die Idee zu diesem Vignette entstand nach dem Werkgespräch #38 mit Hannes Kolbe von der AOK Nordost. Er erwähnte die Phrase des »Too busy to improve« in Anlehnung an das geflogene Wort »Too big to fail«, das in den Jahren nach der Finanzkrise 2008 bis heute zu hören ist.

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Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Kommunikations-designer. Auch bekannt als @betablogr.

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