Die Elenden im Weißen Haus

Mittwoch, 26. Februar 2025

Der U.S. Army Chorus singt Les Miserables im Weißen Haus, doch es ist kein Protest. Die wahre Botschaft ist, sich für die Ideale von Victor Hugo einzusetzen und nicht für die Politik eines Clowns, der die Musik ohne Erlaubnis nutzt.

Eigener Schnappschuss, aus Respekt nachgearbeitet.

Unter den Augen des US-Präsidenten sitzen die Teilnehmenden am Ball der Gouverneure 2025 gebannt an ihren Banketten. Einige der singenden Soldaten nähern sich dem Smartphone, das die gesamte Szene aufnimmt. Der Blick eines Sängers verrät nicht ganz, was hier vor sich geht. Auf Yahoo liest man nachher, die Songauswahl hat in den sozialen Medien Verwirrung ausgelöst. Jedoch auch Jubel und Enttäuschung. Während einige glaubten, der Chor habe das Lied aus Protest gewählt, wiesen andere darauf hin, dass Trump ein Lied aus Les Miserables bereits bei Wahlkampfveranstaltungen 2016 und 2024 gespielt habe.

Der Titel des Musicals Les Miserables zugrunde liegenden gleichnamigen Buches verweist unmittelbar auf die existenziellen Nöte der marginalisierten Bevölkerungsgruppen im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Die im Roman zahlreich auftretenden Figuren zeigen dem Leser, wie strukturelle Gewalt individuelle Biografien deformiert. Die Pariser Juni-Aufstände von 1832, die im Roman breiten Raum einnehmen, werden zur Chiffre für den Kampf gegen ein System, das Armut systematisch produziert.

Fast möchte man glauben, der U.S. Army Chorus statuiert ein Example unter den Augen des US-Präsidenten. Schließlich wird dieser eines Tages für alles das verantwortlich sein, was die verschiedenen französischen Revolutionen in den Jahren seit 1789 überwinden wollten. Der zuvor bei der Münchener Sicherheitskonferenz vollzogene Verrat an den Idealen der europäischen Aufklärung durch den US-Vize-Präsidenten sind mein Zeuge. Ob Emmanuel Macron Trump gestern bei seinem Besuch in Washington daran erinnerte, welche Bedeutung die Arbeit von Victor Hugo für das französische Selbstverständnis hat?

Am 14. Februar 2025 hatte ich das einzigartige Erlebnis, Les Miserables in Amsterdam live zu erleben; bei einem der wenigen Termine von »The Arena Spectacular« des Londoner Ensembles mit Milan van Waardenburg im Rahmen Ihrer Welt-Tournee 2025.

Nur etwas mehr als eine Woche später singt der U.S. Army Chorus Les Miserables im Weißen Haus den Titel »One Day Mor«. Die Sängerinnen und Sänger in Uniform marschieren mit strammer Haltung beim Ball der Gouverneure 2025 ein und singen einen der Höhepunkte des Musicals.

Im Song treffen alle Protagonisten zusammen und singen von einem weiteren Tag, der ein weiteres Schicksal für jeden bereithalten wird. Ein Tag, der für jeden auf seine Weise Unendlichkeit verspricht. Morgen wird der Tag sein, an dem Gott im Himmel zeigen wird, was er für den Einzelnen vorgesehen hat.

Leider war das kein Protest, wie er von findigen Mem-Produzenten für die sozialen Medien aufbereitet wurde. Ich selbst wurde erst durch einen Reel auf Instagram aufmerksam. Darin wird das Video mit einem Text-Layer ausgestattet, der anmerkt, Protest passiere auf ganz unterschiedliche Weise. Mir trieb es spontan die Tränen in die Augen. Das Musical habe ich seit Amsterdam noch immer in den Knochen, und als Kenner des Romans weiß ich, welche Bedeutung die Szene im Musical hat.

Zahlreiche Wortmeldungen widersprechen dann auch der Protestnote. Dabei handele es sich lediglich um Wunschdenken. Wie oben erwähnt, hat sich »Shitler von Clownface«, wie er in einem Beitrag aus Bluesky genannt wurde, das Lied »Do You Here The People Sing?« bei Wahlkampfauftritten zunutze gemacht. Allein das war Grund genug, diese Vignette zu verfassen. Denn das Elend im Weißen Haus hat gar nichts mit dem Elend zu tun, das Victor Hugo Jahre vor seinem Erscheinen 1862 seinen Elenden auf den Leib schrieb. Der eigentliche Protest muss daher lauten, sich für Les Miserables einzusetzen und POTUS einen gewaltigen Tritt zu geben. Mir bleibt jedoch nur, mich den Zeilen von Cameron Mackintosh anzuschließen. Er produziert das Musical in London und bemerkte schon 2016 in The Guardian Folgendes.

Die Autoren von Les Misérables wurden nicht um Erlaubnis gebeten und haben die Nutzung von »Do You Here The People Sing?« bei der Trump-Kundgebung in Miami [damals] weder autorisiert noch befürwortet, und haben dies auch nie für eines der Lieder aus dem Musical für diese oder eine andere politische Veranstaltung getan.

Ich schließe mit dem Hinweis, dass diese Anmerkung für alles gilt, das dieser postmoderne Clown sich aus dem Buch und dem Musical zu eigen macht. Und damit schließe ich jetzt wirklich.

Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein erfahrener Foresight-Analyst und Kommunikations-designer, der mit Leidenschaft für Fachkräfte im Gesundheitswesen arbeitet. Auch bekannt als @betablogr.

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