Emma ist nicht Deutschland

Montag, 28. Oktober 2024

Emma, die erste KI-Influencerin Deutschlands, repräsentiert nicht die wahre Identität des Landes, sondern ein algorithmisches Klischee. Ihre digitale Darstellung ist eine Illusion, die uns von der komplexen Realität menschlicher Erfahrungen entfremdet.

Foto: DZT

Als ich Anfang der 2000er Jahre die Kampagne »Du bist Deutschland« sah, war ich fasziniert. Die bunten Plakate, die inspirierenden Slogans und das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, erreichten mich tatsächlich. Damals schien es noch möglich, einen positiven Patriotismus zu fördern, der Mut und Selbstbewusstsein stärken sollte, ohne dabei ausgrenzend zu wirken.

Heute, zwei Jahrzehnte später, kann ich mir kaum vorstellen, dass eine solche Kampagne noch zieht. Als Humanist und überzeugter (mindestens) Europäer sehe ich die Welt mit anderen Augen. Die politische Stimmung in Deutschland hat sich verändert, und der Begriff des »Deutschseins« ist komplexer und kontroverser geworden als je zuvor.

In diese veränderte Realität wird Emma hineingeboren. Emma ist Deutschlands erste offizielle KI-Influencern. Als neue Markenbotschafterin der Deutschen Zentrale für Tourismus e. V. repräsentiert sie »auf völlig neue Weise« die kulturelle Vielfalt unseres Landes. Die Phrase zur »Schönheit unseres Landes« darf dabei ernst genommen werden. Agenturchef Florian Hübner präsentierte Emma vor einigen Tagen auf LinkedIn. Er betont stolz, es sei ein Privileg, bei der Konzeption und der Erstellung von Emma mitgewirkt zu haben. Aus seiner Sicht schlummert in Emma das Potenzial, Deutschlands Tourismuswirtschaft auf ein neues Level zu heben.

Was folgte, war angeblich der Shitstorm des Jahres. So schön kann Schmerz sein. Ich habe selbst nicht alle 3.000+ Kommentare gelesen, war jedoch selbst einer unter den knapp 1.000 Disputanten auf LinkedIn, die sich schriftlich zu Wort meldeten. Dieser Beitrag entsteht, nachdem Florian Hübner sich begeistert zu Wort meldet, weil er sich aufgrund der zahlreichen Gegenreden genötigt sah, alle Einzelheiten zu Emma offenzulegen. Mit einer satten Gänsehaut versteht sich. Seine Wortmeldung, die schon wieder fünf Tage online ist, strotzt von einem adaptierten technologischen Determinismus, der mich nötigt, kulturwissenschaftlich informierte Nachhilfe zu geben.

Emma ist nicht Deutschland - Ein kritischer Blick auf KI-Tourismus

Anfang 2024 stellte die deutsche Tourismuszentrale Emma vor, Deutschlands erste offizielle KI-Influencerin. Als digitale Markenbotschafterin wurde sie entwickelt, um Deutschlands kulturelle Vielfalt zu repräsentieren und Touristen anzuziehen. Dieser Versuch der digitalen Repräsentation wirft jedoch ernsthafte Bedenken hinsichtlich Authentizität und nationaler Identität auf.

Während Emmas Schöpfer sie als technologischen Durchbruch im Tourismusmarketing feiern, verkörpert sie einen problematischen Ansatz zur Darstellung einer Nation. Der KI-Avatar reduziert trotz seiner umfangreichen Datenmodelle Deutschlands reichhaltige Komplexität auf ein stereotypes, künstlich perfektes digitales Konstrukt.

Die Kritik an Emma konzentriert sich auf drei Hauptaspekte: ihre klischeehafte Darstellung, eine vereinfachte Abbildung Deutschlands jenseits seiner berühmten Wahrzeichen und die grundlegende Unzulänglichkeit, mittels KI die Essenz einer Nation einzufangen. Emma repräsentiert nicht die Realität, sondern eine bereinigte, algorithmische Fantasie dessen, was Deutschland sein sollte.

In einer Zeit, in der nationale Identität komplexer und umstrittener ist denn je, wirken solche digitalen Vereinfachungen besonders deplatziert. Wahre Identität liegt nicht in Datenrepräsentationen, sondern in den widersprüchlichen, chaotischen und zutiefst menschlichen Erfahrungen, die eine Nation und ihre Menschen prägen.

Emma mag eine Kampagne sein, aber sie ist nicht Deutschland. Sie ist lediglich ein digitales Märchen, so real wie Schneewittchen - sie existiert nur in unseren Bildschirmen und Marketingmaterialien, weit entfernt von der authentischen deutschen Erfahrung, die Touristen suchen.

Wer ist Emma eigentlich

Emma ist ein KI-Avatar, der auf umfangreichen Datenmodellen basiert. Wie Emma technisch entsteht, erklärt Florian Hübner, wenn Ihr den Links folgt. Mir geht es um etwas anderes. Emma soll die deutsche Wirklichkeit repräsentieren, doch paradoxerweise erschafft sie dabei eine neue Form der Realität. Eine Realität, die trotz aller Daten und Algorithmen oft hinter der menschlichen Intuition und Erfahrung zurückbleibt.

Die Ironie liegt darin, dass Emma, obwohl sie »Deutschland« darstellen soll, eben nicht Deutschland ist. Sie ist ein Konstrukt, ein digitaler Spiegel. Ein krampfhafter Versuch, der uns ähnlich sein möchte. Was dabei herauskommt, ist höflich ausgedrückt, ein Klischee oder wer die vulgäre Form bevorzugt, ein feuchter Männertraum in Gestalt einer digitalen Fee, die in einem Märchenbuch eine gelingende Rolle spielen darf. Denn diese Kampagne ist nicht mehr. Eine erweiterte Wirklichkeit, die genau wie Schneewittchen es konnte, aus Schein ein Sein machen kann. Schneewittchen ist wahr. Sie ist Teil unserer Wirklichkeit. Lasst Euch nichts anderes einreden. Sie existiert – jedoch nur in unseren Märchenbüchern, unserer Fantasie und im Film »7 Zwerge – Männer allein im Wald« des Blödelbarden Otto.

In diesem Land suchen manche Identitäten und andere nach Zugehörigkeit. Vielleicht ist Emma nur ein kontingenter Scheiß, den wir in einigen Tagen vergessen werden, wenn die Kampagne floppt. Falls ich mich irre, werde ich anerkennen, dass ich mit meiner Einschätzung falsch liege und mich geirrt habe. Oder Emma leistet unbeabsichtigt, dass wir erkennen dürfen: Wahre Identität liegt nicht in einer Repräsentation unserer Daten. Unser Handeln ist nicht nur in unseren Algorithmen zu finden, sondern in den komplexen, oft widersprüchlichen Erfahrungen, die uns als Menschen ausmachen. Wir sind Menschen, weil wir über eine fehleranfällige Kontaktaufnahme mit der Welt verfügen, der wir bewusst begegnen. Das macht uns zu jener lösungsorientierten Spezies, zu der ich Emma nicht zähle. Sie ist eine Kampagne. Mehr nicht.

Emma ist eine mediale Fallenstellerin

Ein Großteil der Kritik – einschließlich meiner eigenen – richtet sich auf drei Hauptaspekte. Die klischeehafte Darstellung der gesamten Kampagne. Emma ist so übertrieben »KI-hübsch«, dass viele von uns ahnen, Deutschland präsentiere sich in einer Mogelpackung. Die Tatsache, dass Deutschland nicht nur aus Sehenswürdigkeiten wie dem Brandenburger Tor oder Schloss Neuschwanstein besteht, dürfen wir in Rechnung stellen. Die Unzulänglichkeit des Datenmodells, das der Wirklichkeit nicht gerecht wird und somit ungeeignet erscheint, den touristischen Reichtum des Landes angemessen zu repräsentieren, wirkt hinsichtlich seiner Lobpreisung durch ihren Schöpfer naiv.

Dieses digitale Framing Deutschlands wird kein Erfolg sein. Wenn die Kampagne Aufmerksamkeit erfährt, dann vermutlich nur, weil sich Neugierige von den genannten Defiziten überzeugen möchten. Alle anderen sind Opfer der medialen Fallenstellerin.

Wir erinnern uns. Es gab einmal eine Kampagne »Du bist Deutschland«, die sich heute niemand mehr zutraut und die wir nicht mehr benötigen. Emma – jedenfalls – ist nicht Deutschland.

Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein erfahrener Foresight-Analyst und Kommunikations-designer, der mit Leidenschaft für Fachkräfte im Gesundheitswesen arbeitet. Auch bekannt als @betablogr.

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