Präzisionsmedizin verlangt Präzisionskommunikation

Dienstag, 16. September 2025

"Präzisionsmedizin ohne Präzisionskommunikation ist wie ein Navigationssystem ohne Benutzeroberfläche – technisch brillant, aber unzugänglich. Menschliche Dimensionen sind entscheidend für eine empathische und effektive Gesundheitsversorgung."

Kolumne

Frank Stratmann auf dem Weg zum Gesundheitswirtschaftskongress

Neben der technologischen Revolution im Gesundheitswesen erleben wir eine weitere Kehre.

Die Präzisionsmedizin, die Prof. Dr. Michael Forsting der Universitätsmedizin Essen in der Eröffnung des Gesundheitswirtschaftskongresses bereits als ›Alltag‹ bezeichnet, transformiert die medizinische Praxis grundlegend. Doch während wir diagnostische und therapeutische Verfahren mit immer höherer Genauigkeit entwickeln, bleibt ein entscheidendes Element oft unterentwickelt: die Präzisionskommunikation.

Die Präzisionsmedizin nutzt genetische, molekulare und klinische Daten, um Behandlungen individuell anzupassen. Sie verspricht maßgeschneiderte Therapien statt Standardlösungen. Doch selbst die präziseste medizinische Intervention kann ihre Wirkung verfehlen, wenn die begleitende Kommunikation ungenau, missverständlich oder nicht empfängerorientiert ist.

Präzisionskommunikation bedeutet, Gesundheitsinformationen mit derselben Sorgfalt zu vermitteln, mit der wir präzise medizinische Diagnosen erstellen. Sie erfordert ein tiefgreifendes Verständnis des individuellen Kontexts, der Perspektive und der Bedürfnisse des Gegenübers.

Die Präzisionsmedizin ohne Präzisionskommunikation gleicht einem hochmodernen Navigationssystem ohne Benutzeroberfläche – technisch brillant, aber für den Menschen unzugänglich.

Human Literacy – jene fundamentale Fähigkeit, die Matsumoto in seinen Vorträgen betont – bildet das Fundament der Präzisionskommunikation. Sie ermöglicht uns, über die technischen Aspekte hinauszublicken und die menschliche Dimension des Gesundheitsgeschehens zu erfassen. Human Literacy bedeutet dann:

  • Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme – das Gesundheitsgeschehen aus der Sicht des Patienten zu verstehen

  • Die kontextsensitive Anpassung der Kommunikation an individuelle Bedürfnisse, Bildungshintergründe und emotionale Zustände

  • Das Erkennen impliziter Bedeutungen jenseits des explizit Gesagten

  • Die Integration verschiedener Wissensformen – von medizinischem Fachwissen bis zu lebensweltlichem Erfahrungswissen

Die Präzisionsmedizin liefert exakte Daten über den physiologischen Zustand des Körpers. Die Präzisionskommunikation überträgt diese Genauigkeit auf den Austausch zwischen Menschen. Sie berücksichtigt dabei, dass der Patient mehr ist als die Summe seiner biologischen Marker – er ist ein Mensch mit einer Geschichte, mit Ängsten, Hoffnungen und einem individuellen Verständnishorizont.

Gerade im Zeitalter der KI-vermittelten Kommunikation wird diese Form der Human Literacy entscheidend. KI-Systeme können uns unterstützen, präzise Gesundheitsinformationen zu vermitteln, aber sie müssen von einer tiefen menschlichen Kompetenz gerahmt werden. Ohne diese Rahmung droht die Technologie, statt zu verbinden, neue Gräben zu schaffen.

Ein konkretes Beispiel: Eine genetische Analyse mag mit hoher Präzision ein erhöhtes Risiko für eine bestimmte Erkrankung feststellen. Doch wie kommuniziert man dieses Risiko so, dass der Patient weder in übermäßige Angst noch in falsche Sicherheit verfällt? Hier zeigt sich die Notwendigkeit der Präzisionskommunikation, die wissenschaftliche Genauigkeit mit empathischem Verständnis verbindet.

Die Präzisionskommunikation entspricht in idealer Weise den Essenzen der Neuen Versorgungskommunikation:

  • Sie ist genügsam, indem sie auf unnötige Komplexität verzichtet und das Wesentliche präzise vermittelt

  • Sie ist befähigend, weil sie Patienten in die Lage versetzt, informierte Entscheidungen zu treffen

  • Sie ist kooperativ, da sie einen echten Dialog auf Augenhöhe ermöglicht

  • Sie berücksichtigt ethische Aspekte, indem sie die Würde und Autonomie des Patienten respektiert

Wenn wir die Präzisionsmedizin vorantreiben, müssen wir mit gleicher Intensität die Präzisionskommunikation entwickeln. Nur so können wir sicherstellen, dass der technologische Fortschritt tatsächlich zu einer humaneren Gesundheitsversorgung führt.

Die Herausforderung für Gesundheitseinrichtungen besteht darin, neben der Investition in modernste diagnostische und therapeutische Verfahren auch in die Entwicklung kommunikativer Kompetenzen zu investieren. Präzisionskommunikation sollte als integraler Bestandteil der medizinischen Versorgung verstanden werden – nicht als optionales Extra.

In einer Zeit, in der Algorithmen zunehmend medizinische Entscheidungen unterstützen, wird die menschliche Fähigkeit zur präzisen, kontextsensitiven Kommunikation zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung. Human Literacy und Präzisionskommunikation sind daher nicht nur wünschenswerte Ergänzungen, sondern notwendige Voraussetzungen für eine Medizin, die dem Menschen in seiner Ganzheit gerecht wird.

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Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Designer für deliberative Kommunikation.
Bekannt als @betablogr.

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