Zwischen »Know-how« und »Know-why«

Sonntag, 25. Mai 2025

"Es ist an der Zeit, das 'Know-why' gleichwertig zum 'Know-how' zu stellen, um eine menschlichere Zukunft zu gestalten, die nicht nur technisch fortschrittlich, sondern auch ethisch und sinnstiftend ist."

Google Gemini

Ein Vermittlungsversuch

In einer Welt, die von rasantem technologischem Fortschritt und einer Fixierung auf messbare Ergebnisse geprägt ist, droht eine Dimension menschlichen Handelns und Verstehens in den Hintergrund zu geraten: die Frage nach dem »Warum«. Wir optimieren Prozesse, entwickeln innovative Werkzeuge und dringen tief in die Geheimnisse der Natur ein. Doch wozu das alles? Und was bedeutet es für uns als Menschen und als Gesellschaft?

Martin Puchner bringt diese Dichotomie in seinem Werk »Kultur« (2025) prägnant auf den Punkt: »Aus heutiger Perspektive dreht sich das Know-how um Werkzeuge, Wissenschaft und Technik, um die Fähigkeit, die natürliche Welt zu verstehen und in ihre Abläufe einzugreifen. Dagegen betrifft das Know-why die Geschichte von Kultur als einer sinnstiftenden Aktivität. Es ist das Hoheitsgebiet der Geisteswissenschaften.« Genau dieses »Know-why«, das Wissen um Sinn, Kontext und menschliche Werte, ist es, das wir in Sektoren wie der Wirtschaft und dem Gesundheitswesen sträflich vernachlässigen, wodurch unser Fortschritt nicht selten richtungslos wird oder gar unbeabsichtigte negative Konsequenzen zeitigt – oft mit weitreichenden Folgen, die sich in einer zunehmend komplexen und von Krisen geprägten Welt immer deutlicher zeigen.

Die Wirtschaft: Mehr als nur Zahlen

In der Wirtschaftswelt dominiert häufig eine rein utilitaristische Sichtweise. Effizienz, Profitmaximierung und technologische Innovation gelten als primäre Treiber. Doch ein Unternehmen ist mehr als eine Maschine zur Gewinnerzielung. Es ist ein soziales Gebilde, eingebettet in eine Gesellschaft, getragen von Menschen mit Bedürfnissen, Wünschen und ethischen Vorstellungen. Die Geisteswissenschaften – Philosophie, Geschichte, Literatur, Kunstgeschichte, Ethik – bieten hier unverzichtbare Werkzeuge. Sie schulen kritisches Denken, Empathiefähigkeit und das Verständnis für komplexe kulturelle und historische Zusammenhänge. Eine Führungskraft, die gelernt hat, ethische Dilemmata zu reflektieren, die die Geschichte von Märkten und Krisen versteht oder die kulturellen Codes deuten kann, wird nachhaltigere und verantwortlichere Entscheidungen treffen. Es geht darum, nicht nur zu wissen, wie man ein Produkt verkauft, sondern auch, warum dieses Produkt einen Wert für die Gesellschaft haben sollte und welche Verantwortung damit einhergeht.

Das Gesundheitswesen: Der Mensch im Mittelpunkt – trotz ökonomischem Druck

Noch deutlicher wird der Bedarf an geisteswissenschaftlicher Perspektive im Gesundheitswesen. Die moderne Medizin hat zwar beeindruckende Fortschritte im »Know-how« erzielt – Diagnosetechniken werden immer präziser, Behandlungsmethoden immer ausgefeilter. Doch parallel dazu erleben wir einen immer stärkeren Drang, auch hier ökonomische Aspekte entlang vermeintlich rein wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse zu optimieren, oft über den Menschen und seine tatsächlichen Bedürfnisse hinweg. Dieser Optimierungswahn, der den Menschen primär als Kostenfaktor oder Effizienzpotenzial betrachtet, droht jedoch, wertvolle Aspekte von Gesundheit und Fürsorge zu untergraben und letztlich Gesundheit zu kosten, statt sie zu fördern. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Organe oder ein Fall für eine bestimmte Leitlinie und erst recht mehr als ein Posten in einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Krankheit, Leid und Heilung sind tiefgreifende menschliche Erfahrungen, die über das rein Biologische und Ökonomische hinausgehen. Hier setzt das »Know-why« an: Wie kommunizieren wir mit Patienten in existenziellen Krisen? Wie gehen wir mit den ethischen Herausforderungen am Lebensanfang und -ende um, wenn ökonomische Erwägungen zunehmend Einfluss nehmen? Wie verstehen wir den Einfluss von Kultur und sozialem Umfeld auf Gesundheit und Krankheit jenseits von Effizienzmodellen?

Philipp Möllers Definition des Humanismus aus dem Jahr 2012 unterstreicht diese Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung: »Humanismus mit ihren drei Stützpfeilern: Wissenschaft, um Erkenntnisse über die Welt zu erlangen, Philosophie, um diese Erkenntnisse zu deuten, und Kunst, um dem Wunsch des Menschen gerecht zu werden.« Übertragen auf das Gesundheitswesen bedeutet dies: Die Wissenschaft liefert die medizinischen Fakten. Die Philosophie hilft uns, diese Fakten ethisch und im Kontext der individuellen Lebensgeschichte des Patienten zu deuten – auch und gerade im Spannungsfeld wirtschaftlicher Interessen. Und die Kunst – im weitesten Sinne als Ausdruck menschlicher Kreativität und Empathie – ermöglicht es uns, dem Wunsch des Menschen nach Zuwendung, Verständnis und Würde gerecht zu werden. Eine Medizin, die nur auf das technische »Know-how« und ökonomische Effizienz setzt, verliert unweigerlich den Patienten aus dem Blick und wird zur kalten, entmenschlichten Dienstleistung.

Ein Appell für die Integration

Es ist an der Zeit, die künstliche Trennung zwischen dem vermeintlich neugierigen Wissen der Natur- und Technikwissenschaften und dem sorgfältigen Wissen der Geisteswissenschaften zu überwinden. Wir brauchen in der Wirtschaft Manager, die nicht nur Bilanz ziehen, sondern auch kulturelle Narrative verstehen und ethisch fundiert handeln können. Wir brauchen im Gesundheitswesen Ärzte und Pflegekräfte, die nicht nur Krankheiten behandeln und Budgets einhalten, sondern auch Menschen in ihrer Gesamtheit wahrnehmen und begleiten.

Die Integration geisteswissenschaftlicher Perspektiven ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für eine zukunftsfähige und menschenwürdige Gesellschaft. Indem wir das »Know-why« gleichberechtigt neben das »Know-how« stellen, schaffen wir die Grundlage für Entscheidungen, die nicht nur effizient und innovativ, sondern auch weise, ethisch und sinnstiftend sind. Lassen wir also die Geisteswissenschaften aus ihrem Elfenbeinturm heraus und geben wir ihnen den Raum und die Anerkennung, die sie verdienen – sei es durch interdisziplinäre Teams in Unternehmen, ethische Fallbesprechungen im Gesundheitswesen, die von geisteswissenschaftlichen Perspektiven bereichert werden, oder eine stärkere Verankerung kritischen Denkens in unserem täglichen Handeln. Denn nur so gestalten wir aktiv jene menschlichere Zukunft, die nicht nur technisch fortschrittlich und ökonomisch optimiert ist, sondern in der das zutiefst Menschliche den verdienten zentralen Platz einnimmt.

Auf dem Weg zu neuen Narrativen und gelebten Werten durch Cultural Foresight

Die bewusste Kultivierung des »Know-why« durch geisteswissenschaftliche Ansätze ist somit mehr als eine intellektuelle Übung; sie ist ein entscheidender Schritt, um den Zielen einer vorausschauenden Kulturentwicklung, wie sie beispielsweise BETABLOGR Cultural Foresight verfolgt, näherzukommen.

Indem wir unsere Fähigkeit schärfen, tiefere Bedeutungsebenen zu erschließen und kulturelle Dynamiken zu verstehen, ebnen wir den Weg zu neuen Narrativen. Diese Narrative besitzen die transformative Kraft, überholte Gewissheiten zu dekonstruieren und stattdessen neue, zukunftsfähige Sicherheiten zu etablieren. Sie bringen neue soziale und strukturelle Anliegen ans Licht, die zuvor möglicherweise im Verborgenen lagen oder vernachlässigt wurden. Auf dem Fundament dieser neu gewonnenen Einsichten und der daraus erwachsenden Anliegen können wir dann vordergründig wirksamere Strategien entwickeln und unsere Werte nicht nur deklamieren, sondern authentisch und wirkmächtig leben – in der Wirtschaft, im Gesundheitswesen und in allen Facetten unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Es geht darum, eine Kultur zu fördern, in der das Fragen nach dem »Warum« die gleiche Wertschätzung erfährt wie das Wissen um das »Wie«, um so eine resilientere, anpassungsfähigere und letztlich menschlichere Zukunft aktiv zu gestalten.

Frank Stratmann

AVAILABLE FOR WORK

Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Designer für deliberative Kommunikation.
Bekannt als @betablogr.

German
Frank Stratmann

AVAILABLE FOR WORK

Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Designer für deliberative Kommunikation.
Bekannt als @betablogr.

German

Frank Stratmann

AVAILABLE FOR WORK

Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Designer für deliberative Kommunikation.
Bekannt als @betablogr.

German