Aktualisiert

17. Oktober 2025

Nicht nur Beiwerk

Das Schicksal des Beipackzettels als Vorbild für die Gesundheitskommunikation der Zukunft

Neue Gewissheit

Eigene Aufnahme meines auf Nachfrage erhaltenen Medikationsplans während eines Krankenhausaufenthalts

Das Phänomen der Transformation von Beipackzetteln zu regulierten Informationsquellen fördert das Vertrauen in die Gesundheitskommunikation, während die Oberflächlichkeit und Werbeorientierung in der Kommunikation abnimmt.

German

Die Zukunft der Gesundheitskommunikation erfordert Transparenz und Verständnis, weg von Werbung hin zu informierenden Dialogen.

Zunächst eine kleine Geschichte des Beipackzettels: Vom Werbezettel zur Pflichtlektüre

Wir alle kennen ihn, aber kaum jemand liest ihn gerne: den Beipackzettel. Er ist meistens winzig gefaltet und vollgestopft mit Fachbegriffen, Warnungen und der gefühlt unendlichen Liste von Nebenwirkungen. Doch die Packungsbeilage ist weit mehr als nur ein Ärgernis – sie hat eine lange und bewegte Geschichte, die von einfacher Werbung bis zu gesetzlich geregeltem Patientenschutz reicht.

Die Anfänge des Beipackzettels liegen im 15. Jahrhundert, nach der Erfindung des Buchdrucks. Händler und Apotheker nutzten Einblattdrucke, um für ihre Produkte zu werben. So entstanden die ersten ›Gebrauchszettel‹. Besonders für sogenannte Olitäten (Öle, Salben) und Geheimmittel waren diese Werbemittel wichtig. Sie enthielten zwar oft schon erste Anwendungsinformationen, dienten aber vorrangig der Verkaufsförderung.

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und der Entstehung des Spezialitätenmarktes wurden die Beipackzettel immer vielfältiger. Die Informationen wurden komplexer und enthielten nun auch konkretere Anwendungshinweise. Trotzdem blieb der werbliche Aspekt lange Zeit im Vordergrund, und die Angaben waren nicht immer verlässlich. Die Idee des Patientenschutzes im heutigen Sinne spielte damals noch keine große Rolle.

Ein dunkles Kapitel der Medizingeschichte sorgte für einen Paradigmenwechsel: die Contergan-Katastrophe in den 1960er Jahren. Tausende Kinder kamen mit schweren Fehlbildungen zur Welt, nachdem ihre Mütter ein thalidomidhaltiges Beruhigungsmittel eingenommen hatten. Dieser Skandal machte die dramatischen Folgen mangelnder Aufklärung deutlich und führte zu einer grundlegenden Neuregelung im Arzneimittelrecht.

Als direkte Reaktion auf die Katastrophe wurde in vielen Ländern die Gesetzgebung verschärft. In Deutschland wurde das Arzneimittelgesetz eingeführt, das die Pharmahersteller seither verpflichtet, alle bekannten Nebenwirkungen – egal wie selten sie sind – aufzulisten. Damit wurde der Beipackzettel zum streng regulierten Dokument für den Patientenschutz und nicht länger nur zur Werbefläche.

Seit 1978 hat sich der Beipackzettel in seiner Form kaum verändert, aber die Diskussion um seine Verständlichkeit hält an. Viele Patientinnen und Patienten empfinden das Kleingedruckte und die Fachsprache weiterhin als verwirrend. Pharmaunternehmen, Aufsichtsbehörden und Verbände arbeiten deshalb kontinuierlich daran, die Packungsbeilagen verständlicher zu gestalten, denn das Ziel ist klar:

Jede Person sollte in der Lage sein, die Informationen zu ihrem Medikament richtig zu verstehen.

Der Weg des Beipackzettels vom simplen Werbeflyer zur unerlässlichen Informationsquelle zeigt, wie sehr sich das Bewusstsein für Patientensicherheit gewandelt hat.

Auch wenn der Umgang mit den dünnen Zetteln für viele eine Herausforderung bleibt, ist er ein wichtiger Garant für die Sicherheit unserer Medikamente. Beim nächsten Mal, wenn Sie einen Beipackzettel entfalten, denken Sie daran: Jede einzelne Zeile ist das Ergebnis einer langen Geschichte – und der Preis für gut informierte Patientinnen und Patienten.

Gesundheitsmarketing zur Gesundheitskompetenz

Die Geschichte des Beipackzettels wirft ein unerwartetes Licht auf die heutige Gesundheitskommunikation. Denn wenn wir heute Flyer in der Arztpraxis durchblättern, die Praxishomepage besuchen oder dem Krankenhaus auf Social Media folgen, begegnet uns oft dasselbe Muster: Werbung statt Aufklärung. Hochglanzfotos, emotionale Geschichten, Darstellung von Leistungen – die Kommunikation vieler Gesundheitseinrichtungen folgt eher den Gesetzen des absatzorientierten Marketings als dem Ziel, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu fördern.

Auch innerhalb der Einrichtungen sind die Informationsflüsse oft nicht adäquat. Patientinnen und Patienten erhalten fragmentierte Informationen, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Komplexität des Gesundheitssystems trifft auf eine Kommunikation, die dieser Komplexität nicht gerecht wird.

Doch genau hier zeigt die Entwicklung des Beipackzettels einen Weg auf: Ein Paradigmenwechsel ist möglich. Was einst als Werbezettel begann, wurde durch gesellschaftlichen Druck und regulatorische Eingriffe zu einem streng regulierten Instrument des Patientenschutzes. Eine vergleichbare Transformation steht der Gesundheitskommunikation bevor.

Der institutionelle Vertrauensvorschuss, den Arztpraxen und Krankenhäuser traditionell genießen, gerät zunehmend unter Druck. Die Informationslage ist komplex geworden, und große Sprachmodelle ermöglichen es Menschen, im Dialog personalisierte Aufklärungsblättchen zu erstellen – vergleichbar mit dem Beipackzettel, aber zugeschnitten auf die individuelle Situation. Wenn Patientinnen und Patienten ihre Informationen anderswo finden können, verlieren Gesundheitseinrichtungen die Kontrolle über die Deutungshoheit.

Eine Zukunft jenseits des Werblichen

Stellen wir uns eine Zukunft vor, in der – ähnlich wie beim Beipackzettel – das Werbliche aus der Gesundheitskommunikation verdrängt wird. Nicht, weil Arztpraxen und Krankenhäuser nicht mehr für sich werben würden. Sie werden weiterhin Marke und Reputation aufbauen wollen. Aber die Art und Weise wird sich grundlegend ändern. Auch die Pharmaindustrie verlagerte sich nach Einführung des regulierten Beipackzettels auf massenmediale Szenarien. Primär bei Over-the-Counter-Präparaten (OTC). Pharmareferenten übernahmen den persönlichen Kontakt zur Ärzteschaft.

Das System der Pharmareferenten entstand in Deutschland zwar schon in den 1950er und 1960er Jahren, entwickelte sich also parallel zur modernen pharmazeutischen Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Rolle professionalisierte sich besonders ab den 1960er Jahren, als die Pharmaindustrie stark wuchs und spezialisierte Vertriebskanäle zur Ärzteschaft aufbauen musste. Interessanterweise fiel diese Entwicklung zeitlich mit der Contergan-Katastrophe zusammen – während der Beipackzettel zunehmend reguliert wurde, übernahmen Pharmareferenten die Funktion des persönlichen, direkten Marketings an die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte.

Diese Transformation folgt den Paradigmen dessen, was sich auch in anderen Bereichen vollzieht: dem Übergang in eine Kultur der Komplexität, in der Vernunft praktisch neu definiert wird. In dieser Kultur bedeutet Gesundheitskommunikation nicht länger, Botschaften zu senden, sondern Verständnis zu ermöglichen. Flyer werden zu interaktiven Entscheidungshilfen. Die Praxishomepage wird zur Wissensplattform mit evidenzbasierten Informationen. Social-Media-Kanäle dienen nicht der Selbstdarstellung, sondern dem Dialog und der kollektiven Wissensgenerierung.

Gesundheitseinrichtungen, die diesen Wandel vollziehen, werden nicht weniger erfolgreich sein – im Gegenteil. Sie werden Vertrauen durch Transparenz aufbauen, genau wie der Beipackzettel durch die vollständige Offenlegung aller Nebenwirkungen zum Garanten der Patientensicherheit wurde. Die Einrichtungen, die an der werblichen Kommunikation festhalten, werden hingegen den Anschluss verlieren.

Der Weg vom Werbezettel zur Pflichtlektüre hat gezeigt: Regulierung und gesellschaftlicher Druck können Kommunikation transformieren. Für die Gesundheitskommunikation der Zukunft bedeutet das: Nicht die lauteste Stimme wird gehört, sondern die verständlichste. Nicht die schönste Inszenierung überzeugt, sondern die wahrhaftige Information mit Anschluss an neue Vertrauenskriterien (Trust). Und nicht die größte Reichweite zählt, sondern die nachhaltigste Kompetenzsteigerung.

Diese Zukunft ist keine Utopie – sie ist eine logische Konsequenz der Entwicklung, die wir beim Beipackzettel bereits gesehen haben.

Frank Stratmann

Ich bin Frank Stratmann – ein erfahrener Foresight- und Kommunikationsdesigner, der mit Leidenschaft für Fachkräfte im Gesundheitswesen arbeitet.
Auch bekannt als @betablogr.

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Frank Stratmann

Ich bin Frank Stratmann – ein erfahrener Foresight- und Kommunikationsdesigner, der mit Leidenschaft für Fachkräfte im Gesundheitswesen arbeitet.
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