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Dekonstruktion

Mythen

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Triumph des Logos

Cultural Strategic Foresight

Der Triumph des Logos in der westlichen Gesellschaft führt zu einer Verdrängung mythischer Denkweisen, was zu Reduktionismus, Sinnverlust und gesellschaftlicher Fragmentierung führt. Ein ausgewogener Ansatz, der sowohl rationale als auch mythische Perspektiven anerkennt, ist notwendig, um existenzielle Fragen zu adressieren und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

Verfasst von: Frank Stratmann

4.02

Update vom 15.07.2025

Der Triumph des Logos und seine Grenzen

In der westlichen Gesellschaft erleben wir schon etwas länger den Triumph des Logos – der rationalen, wissenschaftlichen Denkweise, die auf empirischen Beobachtungen und logischen Schlussfolgerungen basiert.

Szientismus würde darüber sogar noch hinausgehen, indem er die wissenschaftliche Methode nicht nur als erfolgreich, sondern als einzig gültige Erkenntnisform betrachtet und andere Wissens- und Sinnformen grundsätzlich abwertet.

Diese Form des Denkens hat zweifellos zu enormen Fortschritten in Wissenschaft und Technologie geführt. Doch dieser Triumph des Logos bringt zunehmend Herausforderungen für unser kollektives Verständnis und unsere Suche nach Sinn mit sich.

Der Logos hat in vielen Bereichen die mythische Denkweise verdrängt. Während die „natürlichen Ordnungen“, wie im Cultural Strategic Framework beschrieben, unabhängig von unserem Glauben existieren und durch objektive Beobachtung erfassbar sind, werden die „imaginierten Ordnungen“ – unsere gesellschaftlichen Mythen – zunehmend ihrer Tiefe beraubt, wenn wir sie ausschließlich durch die Linse des Logos betrachten.

Diese Verdrängung führt zu mehreren Problemfeldern:

  • Reduktionismus: Die komplexen, vielschichtigen Bedeutungen von Mythen werden auf ihre wörtliche, faktische Interpretation reduziert und dann als „unwahr“ abgelehnt.

  • Sinnverlust: Die zeitlosen Wahrheiten und emotionalen Resonanzen, die Mythen vermitteln können, gehen verloren, wenn wir ausschließlich nach faktischer Korrektheit fragen.

  • Gesellschaftliche Fragmentierung: Ohne gemeinsame mythische Strukturen fehlen uns wichtige Bindeglieder für gesellschaftlichen Zusammenhalt jenseits rationaler Interessen.

Im Prozess der Dekonstruktion müssen wir Mythen daher besonders sorgfältig betrachten. Wir würdigen, dass sie als soziale Technologie nach wie vor fundamentale Relevanz haben. Wie unter Mythen als soziale Technologie beschrieben, bilden sie das unsichtbare Betriebssystem für unsere kollektive Wirklichkeit und ermöglichen erst komplexe gesellschaftliche Kooperation.

Die Dekonstruktion zielt nicht darauf ab, Mythen als „falsch“ zu entlarven, sondern ihre Funktionsweise zu verstehen – wie sie entstehen, wie sie wirken und wie sie unser Denken formen. Erst durch dieses Verständnis können wir in der Phase der Rekonstruktion bewusst mit ihnen arbeiten.

Nähere Betrachtung der Bedeutung von Mythen

Heute, wo der Logos dominiert, benötigen wir einen ausgewogeneren Ansatz, der sowohl die Stärken des rationalen Denkens als auch die der mythischen Sinnstiftung anerkennt. Karen Armstrongs Beobachtung, dass Mythen ursprünglich im rituellen Kontext verstanden wurden, weist auf ihre tiefere Funktion hin. Sie bieten einen Rahmen für geteilte Erfahrungen und Bedeutungen, die über das rein Faktische hinausgehen.

Anstatt Mythen abzulehnen oder sie buchstäblich zu interpretieren, sollten wir sie als komplementäre Form der Wahrheitsfindung betrachten – eine, die besonders geeignet ist, um existenzielle Fragen zu adressieren und kollektiven Zusammenhalt zu fördern.

Die menschliche Neigung, Naturprozesse als Familiendrama zu inszenieren, ist tief verwurzelt. Zeus erscheint als jähzorniger Vater, Gaia als gekränkte Mutter. Diese anthropomorphe Projektion macht das Unbegreifliche scheinbar greifbar. Die Zuschreibung menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen auf nicht menschliche Entitäten ist ein verbreitetes menschliches Merkmal, das sich überraschenderweise auch in die Biowissenschaften, insbesondere die Mikrobiologie, eingeschlichen hat.

Die Zuschreibung einer Seele oder eines Bewusstseins an unbelebte Objekte, Naturphänomene oder natürliche Prozesse heißt Animismus. Der Unterschied zum anthropomorphen Denken liegt in der Nuance, dass Animismus primär auf der Vorstellung beruht, dass alle Dinge beseelt sind. Das anthropomorphe Denken beschreibt die Projektion menschlicher Eigenschaften, wie Motivationen und sozialer Strukturen, auf nicht menschliche Entitäten.

Im wissenschaftlichen Kontext ist diese anthropomorphe Brille besonders problematisch, da sie objektive Beobachtung und kausale Erklärung durch narrative Vereinfachungen ersetzt, die zwar intuitiv verständlich, aber wissenschaftlich irreführend sein können.

Beispiele hierfür sind Beschreibungen von Bakterien, die „eine Wahl treffen“, „eine Entscheidung treffen“.

Nebenwirkungen der anthropomorphen Brille

Diese anthropomorphe Brille birgt jedoch zwei wesentliche Nebenwirkungen.

Erstens entsteht eine »Erklärungslücke«. Unsichtbare Ursachen, wie Viren, CO₂-Moleküle oder komplexe Algorithmen, bleiben lange Zeit unvorstellbar, da sie sich der direkten sinnlichen Erfahrung und damit der einfachen narrativen Einordnung entziehen.

Zweitens führt dies zu einer »moralischen Aufladung« der Natur. Sie wird zu einem handelnden Subjekt stilisiert, das belohnt oder straft, was die eigentlichen kausalen Zusammenhänge verschleiert.

Julian Davies argumentiert, dass anthropomorphes Denken in vielen Fällen die biologische Forschung fehlgeleitet hat. Wenn beispielsweise mikrobielle Interaktionen als ›Kriegsführung‹ oder ›chemische Waffen‹ beschrieben werden, können andere, komplexere Funktionen dieser Moleküle, wie die Modulation von Transkription oder physiologische Signalgebung, übersehen werden.

Dies zeigt, wie anthropomorphe Annahmen eine umfassendere, objektive wissenschaftliche Erkenntnis behindern können, indem sie eine selbst auferlegte ›Erklärungslücke‹ in der wissenschaftlichen Untersuchung schaffen.

Karen Armstrong betont, dass Mythen ursprünglich nur im rituellen Kontext verständlich waren.

Ihre Bedeutung entfaltete sich im Vollzug des Rituals, nicht in einer wörtlichen Interpretation. Sie drückten eine „zeitlose Wahrheit aus, die in gewisser Weise einmal geschah, aber auch ständig geschieht“, und halfen den Menschen, ihre Dilemmata in einen zeitlosen Kontext zu stellen.

Mythen sind untrennbar mit Ritualen verbunden und „in einem profanen Umfeld unverständlich“. Die Bestattungspraktiken der Neandertaler, mit Fötuspositionen und Tieropfern, deuten auf Mythen hin, die in der „Erfahrung des Todes und der Angst vor dem Aussterben“ verwurzelt sind und eine „Gegenerzählung“ zur Sterblichkeit bieten.

Mythen sprechen auch von einer „anderen Ebene, die neben unserer Welt existiert und diese in gewisser Weise stützt“, einer „perennierenden Philosophie“, die vorwissenschaftliche Gesellschaften prägte.

Erst wenn diese rituellen Kontexte verblassen, droht die symbolische Erzählung in eine buchstäbliche Fehlinterpretation zu kippen.

Die Metapher wird zur vermeintlichen Realität. Karen Armstrong hebt hervor, dass die moderne Gesellschaft, die tief in „Logos“ (Vernunft, faktische, objektive, empirische Realität) verwurzelt ist, Schwierigkeiten mit mythischem Denken hat. Wenn biblische Narrative als faktische Berichte gelesen werden, anstatt ihre ursprüngliche mythische Bedeutung zu erkennen, werden sie als „unwahr“ abgetan, weil sie nicht den wissenschaftlichen Normen entsprechen. Dies stellt nicht nur eine Gefahr der wörtlichen Fehlinterpretation dar, sondern untergräbt auch die Funktion des Mythos als komplementäre Form der Wahrheitsfindung. Der Triumph des Logos kann die Nützlichkeit des Mythos schmälern und zu einer kulturellen Verarmung führen, bei der tiefgründige, zeitlose Wahrheiten, die durch Narrative vermittelt werden, verloren gehen.

Mythos und Logos: Eine Gegenüberstellung

Für ein umfassenderes Verständnis ist es hilfreich, die Charakteristika von mythischem Denken (Mythos) und vernunftbasiertem Denken (Logos) direkt gegenüberzustellen:

Zweck

Mythos: Schafft Sinn und Bedeutung, adressiert existenzielle Dilemmata und leitet Verhalten in Gemeinschaften.

Logos: Bezieht sich auf faktische, objektive, empirische Realität und ermöglicht effizientes Funktionieren in der Welt.

Wahrheitsnatur

Mythos: Vermittelt zeitlose Wahrheit, die symbolisch und metaphorisch „immer" geschieht.

Logos: Strebt nach faktischer Genauigkeit, die beweisbar, messbar und objektiv ist.

Kontext

Mythos: Wurde ursprünglich im Ritual verstanden, ist performativ und basiert auf gelebter Erfahrung.

Logos: Ist wissenschaftlich, empirisch, logisch und analytisch ausgerichtet.

Funktion

Mythos: Ermöglicht den Umgang mit der problematischen menschlichen Lage und hilft, einen Platz in der Welt zu finden.

Logos: Heilt Krankheiten, erklärt kausale Mechanismen und schafft Neues durch technologischen Fortschritt.

Grenzen

Mythos: Kann nichts völlig Neues hervorbringen und birgt das Risiko der wörtlichen Fehlinterpretation außerhalb des rituellen Kontexts.

Logos: Kann existenzielle Verzweiflung nicht verhindern, Sterblichkeit nicht überwinden oder ultimativen Sinn und Zweck liefern.

Gesellschaftliche Rolle

Mythos: Prägte vorwissenschaftliche Gesellschaften und stiftet auch heute noch Sinn und Zugehörigkeit.

Logos: Treibt modernen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt an und dominiert das heutige Weltbild.

Die Notwendigkeit einer Balance

In der gegenwärtigen Gesellschaft, in der der Logos dominiert, verlieren wir zunehmend die komplementäre Kraft des Mythos. Dabei ist es nicht notwendig, zwischen diesen beiden Denkweisen zu wählen – vielmehr bereichern sie einander. Der Mythos kann dort Sinn stiften, wo der Logos an seine Grenzen stößt, während der Logos die Fallstricke wörtlicher Mytheninterpretation vermeiden hilft.

Eine gesunde Kultur benötigt beide Dimensionen. Die analytische Kraft des Logos für technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt sowie die sinnstiftende und gemeinschaftsbildende Kraft des Mythos für gesellschaftlichen Zusammenhalt und existenzielle Orientierung.

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Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Designer für deliberative Kommunikation.
Bekannt als @betablogr.

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