Gesellschaft

Mythos

Mensch

wachstum

Phase: Mythos

German

Wachstum

Im Mittelalter war das Schicksal der Menschen eng mit dem Wohlergehen ihres Landes verbunden, und das Königsheil wurde als göttliche Kraft angesehen, die nicht nur Schlachten gewann, sondern auch Fruchtbarkeit und Wachstum sicherte. Bauern suchten die Grabplatte von Heinrich IV. auf, um ihre Saat zu segnen, in der Hoffnung auf eine reiche Ernte. Die Sprache reflektierte diese agrarische Metaphorik, wobei Wachstum mit der Natur und dem Gedeihen des Landes assoziiert wurde, was die enge Verbindung zwischen Herrschaft und Wohlstand der Bevölkerung verdeutlicht.

Verfasst von: Frank Stratmann

Gesellschaft

Update vom 23.07.2025

Der Begriff ›Wachstum‹ hat tiefe Wurzeln in der germanischen Sprachfamilie. Er leitet sich vom althochdeutschen ›wahsan‹ und dem mittelhochdeutschen ›wahsen‹ ab, was ursprünglich das physische Größerwerden von Pflanzen und Lebewesen bezeichnete. Diese Herkunft spiegelt eine Zeit wider, in der das menschliche Leben primär von landwirtschaftlichen Zyklen bestimmt wurde.

Wachstum als agrarischer Mythos

Im Kontext einer vormodernen, agrarisch geprägten Gesellschaft war ›Wachstum‹ kein abstrakter wirtschaftlicher Indikator, sondern eine unmittelbar erfahrbare Realität des Landlebens. Der Begriff verkörperte einen fundamentalen Mythos.

Die Vorstellung eines natürlichen, zyklischen Prozesses, der durch göttliche Kräfte – oder eben das Königsheil – begünstigt werden konnte. Diese mythische Dimension des Wachstums manifestierte sich in zahlreichen Ritualen und Bräuchen der Bauernkultur.

Es war eine Zeit, in der das Schicksal der Menschen untrennbar mit dem Wohlergehen ihres Landes und der Fruchtbarkeit ihrer Felder verbunden war. In diesen Zeiten, als das Mittelalter noch jung war und alte Glaubensvorstellungen sich mit neuen mischten, entstand eine faszinierende Vorstellung: das Königsheil. Man glaubte, dass die königliche Sippe eine besondere, magische Kraft besaß – eine göttliche Aura, die nicht nur Schlachten gewann, sondern auch das Land üppig und die Frauen fruchtbar machte.

Diese Macht war so tief verwurzelt, dass sie sich nicht nur auf den regierenden König beschränkte, sondern auf alle Mitglieder seiner Sippe überging – vom Vater auf den Sohn, vom Onkel auf den Neffen. Ein zweijähriger Knabe, als Spross einer königlichen Linie geboren, trug dieses Heil bereits in sich, seine künftige Herrschaft war damit im Keim angelegt.

Ein eindrucksvolles Zeugnis dieses Glaubens findet sich im 11. Jahrhundert in Speyer. Wenn die Bauern in dieser Region Sorge um ihre Ernte trugen, wenn die Aussicht auf karge Felder und leere Speicher ihre Herzen beschwerte, dann suchten sie die Grabplatte Heinrichs IV., des verstorbenen Königs, auf. Dort legten sie ihr Saatkorn ab, in der stillen Hoffnung, dass ein Funke dieses Königsheils, dieser innewohnenden göttlichen Kraft, auf das Korn überging. So sollte die Saat gesegnet und die Ernte reichlicher werden. Es war ein tief verwurzeltes Vertrauen in die transzendente Macht des Königs, die selbst über den Tod hinaus wirkte und das Wachstum auf den Feldern sicherte (Jenks, 2011).

Die Sprache selbst spiegelte diese agrarische Metaphorik wider.

Wenn man vom ›Wachstum‹ sprach, dachte man nicht an Maschinen oder Wirtschaftszahlen, sondern an die sprießende Saat, an das Aufblühen der Natur. Ein Kanzler der Neuzeit würde vielleicht »blühende Landschaften« versprechen, genau wie die Bauern in Speyer auf die »Fruchtbarkeit des Landes« durch das Königsheil hofften. Die Idee war dieselbe: Die Herrschaft war eng mit dem Gedeihen des Landes und dem Wohlergehen seiner Bewohner verbunden – ein direktes Geschenk des Himmels, das durch das Königsheil auf Erden manifestiert wurde.

Als sprachliches Konzept verweist ›Wachstum‹ daher auf eine Zeit, in der das Gedeihen nicht als linearer, unbegrenzter Fortschritt verstanden wurde, sondern als ein rhythmisches Werden und Vergehen im Einklang mit den Jahreszeiten. Der heutige, primär ökonomisch geprägte Wachstumsbegriff stellt somit eine Transformation dar – von einem zyklischen, in der Natur verwurzelten Verständnis hin zu einer abstrakten, scheinbar endlosen Progression.

Diese etymologische Reise vom Feld zum BIP verdeutlicht, wie tief unsere moderne Wirtschaftssprache noch immer in agrarischen Metaphern verwurzelt ist – selbst wenn wir diese ursprüngliche Verbindung im alltäglichen Sprachgebrauch kaum noch wahrnehmen.




Literatur

(Jenks, 2011) – Prof. Dr. Stuart Jenks, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (2011). Vorlesung zur Einführung in die Geschichte des Mittelalters, YouTube-Vorlesung (zuletzt besucht 23.07.2025).

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