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Dialektik
Cultural Strategic Foresight
Zukunftsdenken erfordert ein dialektisches Gespür, das philosophische und kulturwissenschaftliche Grundlagen berücksichtigt. Es geht darum, Begriffe über ihre Definition hinaus als umfassende Sachverhalte präzise zu durchdringen und Konflikte als Katalysatoren für Transformationen zu nutzen. Wahrheit ist ein dynamischer Prozess, der sich im historischen Kontext entwickelt, und ein geerdetes dialektisches Zukunftsdenken fördert kritische Selbstreflexion und Offenheit für die Realität, um ethisch fundierte Zukunftspfade zu finden.
Verfasst von: Frank Stratmann
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Update vom 22.07.2025
Dialektisches Zukunftsdenken in einem kulturwissenschaftlichen und philosophisch informierten Rahmen
Zukunftsdenken, verstanden als die bewusste und kritische Auseinandersetzung mit potenziellen Zukünften, erfordert mehr als bloße Extrapolation oder Spekulation. Es bedarf einer tiefgreifenden philosophischen und kulturwissenschaftlichen Verankerung, um die Komplexität und die inhärenten Widersprüche der Zukunft tätig und bestenfalls zusammenhandelnd zu bearbeiten. Im Kern des Cultural Strategic Foresight Frameworks steht eine dialektische Herangehensweise, die sich der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit bewusst ist.
Wir verstehen die Dialektik dabei nicht als Werkzeug für Strategie und Management. Tatsächlich vollzieht sich die Dialektik im Sinne Hegels als Fortschritt durch Bewältigung von Konflikt und Krise. Der Fortschritt hinterlässt dabei immer eine Spur der Widerlegung, die die vorherigen Erkenntnisse über Weltbilder, Mythen und Metaphoriken radikal ersetzt, wenn man sich ihnen stellt. Die Dialektik beginnt am unhinterfragten Ausgangspunkt, der durch eine gesunde Skepsis, die kein Pessimismus ist, um Vermittlung bittet, um aufgehoben zu werden.
Die Dialektik als Motor des Zukunftsdenkens
Unsere Herangehensweise versteht Dialektik nicht als starres Schema, sondern als ein dynamisches Prinzip, das auf zwei zentralen philosophischen Traditionen fußt:
Begriffsklärung nach Platon: Die Suche nach dem Wesenhaften
Im Sinne Platons ist Dialektik eine Kunst der Gesprächsführung und Begriffsbestimmung. Bevor wir über die Zukunft sprechen, müssen wir die Begriffe, die unser Denken leiten – wie „Nachhaltigkeit“, „Gerechtigkeit“, „Fortschritt“ oder „Technologie“ – auf ihre Kohärenz und Wesensbestimmung hin untersuchen. Oft offenbaren sich in diesen Dialogen Unklarheiten und Inkonsistenzen. Zukunftsdenken beginnt daher mit einer präzisen Phänomenologie der Begriffe, die es uns ermöglicht, die impliziten Annahmen, Werte und kulturellen Prägungen freizulegen, die diesen Begriffen zugrunde liegen. Unter Begriffen verstehen wir dabei das umfassende Erfassen eines ›Sachverhalts‹, die Wesenheit eines Begriffs. Was wir wirklich meinen, wenn wir über eine bestimmte Facette der Zukunft sprechen, muss sich an den tatsächlichen Gegebenheiten orientieren, die diesen Begriffen zugrunde liegen und nicht rein willkürlich konstruierbar sind. Nur so kann ein gemeinsames Verständnis als Basis für zukünftige Visionen und Strategien geschaffen werden.
Fortschritt durch Konflikt nach Hegel: Transformation durch Aufhebung
Für Hegel ist Dialektik ein prozessphilosophischer Fortschrittsmechanismus, der durch Konflikt und Krise angetrieben wird. Der Fortschritt des Wissens und der Realität entsteht nicht linear, sondern durch die Verneinung (Negation) und Aufhebung von Gegensätzen. Antagonistische Erkenntnisformen oder widersprüchliche Realitäten stoßen aufeinander, überwinden einander und führen zu einer neuen, organischen Einheit, die die vorherigen Pole in transformierter Form integriert und eine bessere Passung mit der Wirklichkeit aufweist. Im Zukunftsdenken bedeutet dies, dass wir potenzielle Zukunftskonflikte – seien es soziale Ungleichheiten, ökologische Grenzen oder technologische Disruptionen – nicht als Störfaktoren betrachten, sondern als Katalysatoren für notwendige Transformationen. Krisen sind oft ein Ausdruck des Scheiterns unserer Konzepte an den objektiven Gegebenheiten, und sie sind Gelegenheiten für epistemischen Fortschritt und die Schaffung neuartiger Lösungen, die den Widerstand der Realität berücksichtigen.
Wahrheit als Prozess der historischen Entwicklung
Hegel argumentiert, dass Wahrheit kein statisches Objekt ist, das unabhängig von unserem Erkenntnisstand existiert, sondern vielmehr eine Erfahrung, die sich im Laufe der Geschichte ständig neu bildet. Sie ist immer in den jeweiligen epistemischen Bedingungen einer Epoche verankert und verändert sich mit der Weiterentwicklung unseres Denkens und unserer Begriffsstrukturen. Das bedeutet, dass unser Verständnis von Wahrheit nicht außerhalb der historischen Kontexte steht, sondern durch sie geprägt wird, was im Gegensatz zu einem fixen, ewigen Wahrheitsbegriff steht.
Wahrheit ist deswegen keine Entität, die über ihren historischen Erkenntnisbedingungen steht. Zu behaupten, irgendwo ist irgendeine Wahrheit und die können wir irgendwie erkennen oder nicht erkennen, wäre nicht wahr. Die Frage der Wahrheit ist immer Teil unseres Bewusstseins als etwas, das in der Entwicklung einer noch zu bestimmenden Wahrheit steht. Wahrheit ist immer eine Erfahrung, die wir in ihrer Genese des Fortschreitens machen. Falls das für den Leser kontraintuitiv klingt, mag das stimmen. Das Bewusstsein der meisten Menschen ist darauf konditioniert, sich am Höhepunkt der bisherigen Schöpfung zu erkennen. Die Wahrheit ist wie zuvor besprochen kein Ding, das es zu entdecken gilt. Wahrheit ist etwas, das wir überwinden, indem wir Krisen und Konflikte, auch Widersprüche und erkannte Irrtümer, Desorientierung und Verirrungen dazu nutzen, ein neues Bewusstsein dazu auszubilden, wie es in Zukunft gelingt.
Episteme bezeichnet die Gesamtheit der Denkweisen, Wissensformen und Grundannahmen, die in einer bestimmten historischen Epoche das Wissen und die Wissenschaften prägen. Systeme und Episteme können in ihrer Zeit zusammenbrechen, wenn ihre Wahrheitsmaßstäbe und Wirklichkeitsbezüge erschüttert werden. In dieser Phase des Übergangs befinden wir uns, weil die Digitalisierungsbemühungen unserer Zeit Verlässlichkeiten infrage stellen. In den Visionen wird der Mensch weitestgehend als sekundärer Faktor nach der Technologie gesehen.
Ein geerdetes dialektisches Zukunftsdenken: Eine Synthese
Ein geerdetes dialektisches Zukunftsdenken ist somit ein dynamischer, kritischer und transformativer Prozess. Es ist die Kunst, die Unschärfen unserer Begriffe durch präzise Analyse zu klären und die realen Konflikte und Krisen der Zukunft als Katalysatoren für Entwicklung zu nutzen. Gleichzeitig bleibt dieses Denken fest in der komplexen, vielschichtigen Wirklichkeit verankert, indem es die Grenzen der bloßen Konstruktion anerkennt und nach Lösungen sucht, die den objektiven Gegebenheiten und ethischen Prinzipien, die in der Realität verankert sind, gerecht werden.
Für das Zukunftsdenken innerhalb von Cultural Foresight bedeutet dies eine ständige Aufforderung zur:
Die kritische Selbstreflexion unserer eigenen Annahmen und Begriffe im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit.
Offenheit für den Widerstand der Realität und die Erkenntnis, dass Scheitern und Krise notwendige Schritte auf dem Weg zu tieferen Einsichten und einer besseren Anpassung an die Welt sind.
Suche nach transformativen Synthesen, die über bestehende Gegensätze hinausgehen und neue, realisierbare und ethisch fundierte Zukunftspfade eröffnen.
Der Ansatz Cultural Strategic Foresight bietet die philosophische Tiefe, um die Herausforderungen der Zukunft zu verstehen und tätig zusammenhandelnd, ethisch verantwortlich und realitätsnah mitzugestalten. Wahrhaft progressiv verhält sich, wer sich an Tatsachen orientiert.
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