Moralspektakel
Text dazu von: Frank Stratmann
BTBLGR-LIT-14
Update vom 27.04.25
Literaturnotizen
»Einleitung« und »Vom Konsum zur Moral«
In der Einleitung zu seinem Buch »Moralspektakel« bohrt uns Philipp Hübl gleich durch bis zur Wurzel. Wir ahnten es ja. Die Diskussionen in Talkshows, Zeitungen, Radiosendungen und vor allem in sogenannten sozialen Medien drehen sich nicht um Fakten; auch wenn diese manchmal anwesend zu sein scheinen. Es gibt primär um Moral, wenn auch erst im weiteren Sinne. Probleme der Tagespolitik, die bei Illner & Co fragmentiert, bei Lanz emotionalisiert und in sozialen Netzwerken zur Schau getragen werden, drehen sich stets um die Orientierungslosigkeit dessen, was wir tun sollten. Wir versuchen abzuwägen, was richtig und falsch sein könnte, wenn es um dieses oder jenes geht.
Daneben diskutieren wir auch jene Themen, die »nichts mit den großen Fragen wie Leben und Tod, Krankheit, Krieg, Geld, Armut und Gewalt« zu tun haben. Er benennt eine Reihe von Aufregungen und Gereiztheiten, die uns häufig ratlos zurücklassen. Seien es Straßennamen, eine Politikerin, die früher Indianerhäuptling gespielt hat oder einzelne Aktivitäten von Klimaaktivisten.
Für Philipp Hübl geht es bei dieser zweiten Sorte Themen nicht um Moral als solche, sondern um symbolische Fragen. Diese Fragen werden von manchen Leuten derart sensibel behandelt, das Diskutanten auch dort Fehltritte entdeckt haben wollen, wo Normverletzungen kaum noch nachweisbar sind. Ich möchte diese Form der gesellschaftlichen Abwägung künftig mit dem Begriff der homöopathischen Deliberation beschreiben. Hübl nennt das Moralspektakel, und zwar aufgrund einer Kollision aus medialer Präsentation und digitaler Überwachung. Was mit dem Überwachungskapitalismus durch Shoshana Zuboff systemisch bereits beschrieben wurde, gipfelt im Moralspektakel, das sich aus der Kollision von Konsum und algorithmischer Beeinflussung entzündet.
Das Spektakel zeigt sich ganz offensichtlich darin, wenn moralische Begriffe und Urteile nicht dazu genutzt werden, um gesellschaftliche Probleme zu lösen, sondern als teures Signal eingesetzt werden. Meisten, um den eigenen Status zu bejammern oder zu überhöhen, die Gruppenidentität zu schärfen oder als Waffe im Krieg gegen den medialen Terror. Sowohl im Rahmen des Angriffs als auch der Verteidigung des eigenen Meinens.
»Das Meinen ist gemein«, sagt auch Untitled in Untitled. Das Moralspektakel ergänzt deshalb die Theorie der sozialen Konstruktion frei verhandelter (und deshalb falscher) Fakten durch moralische Urteile.
Klappentext
In seinem Buch »Moralspektakel« analysiert der Philosoph Philipp Hübl die zunehmende moralische Empörung in sozialen Medien und öffentlichen Debatten. Er untersucht, wie aus legitimer moralischer Kritik oft ein regelrechtes Spektakel wird, bei dem es mehr um Selbstdarstellung als um echte ethische Anliegen geht.
Philipp Hübl verbindet Erkenntnisse aus Philosophie, Psychologie und Soziologie, um zu erklären, warum Menschen sich moralisch empören und welche Mechanismen dabei wirksam werden. Er zeigt auf, wie soziale Medien diese Dynamiken verstärken und wie die »Moral als Waffe« instrumentalisiert wird.
Das Buch bietet nicht nur eine scharfsinnige Analyse des Phänomens der moralischen Empörung, sondern auch praktische Vorschläge, wie wir zu einem konstruktiveren gesellschaftlichen Diskurs zurückfinden können. Eine wichtige Lektüre für alle, die verstehen möchten, warum unsere Debatten zunehmend von moralischer Empörung geprägt sind und was wir dagegen machen können.
BTBLGR-LIT-14
9783827501561
Aktuell
Über Tyrannei
Moralspektakel
Theorie Praktischer Vernunft
Kultur der Digitalität
Lanz & Precht – Litaneien aus der Kemenate
Precht: Das Ende des Westens
Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten
Jung & Naiv Spezial: Analyse der Bundestagswahl
Alles unter dem Himmel
Die große Gereiztheit
Der Einfluss von generativer KI auf kritisches Denken
Über Freiheit
Weitere Stücke in der Domäne New Moral Health Economy
Mehr zur Dimension