New Moral Health Economy

German

Precht: Das Ende des Westens

Geopolitische Veränderungen erfordern neue Perspektiven für Demokratie und Gesundheit, während Kapitalismus Beziehungen verdinglicht.

Text dazu von: Frank Stratmann

BTBLGR-LIT-11

Update vom 01.04.25

– oder warum eine Zukunft, die besser werden kann, die wichtigste unsichtbare Institution ist

Eigentlich benötigen wir keine Literaturnotizen zu Richard David Prechts Gespräch mit Ivan Ivan Krastev, um uns deutlich zu machen, dass die geopolitischen Veränderungen und die wachsende Angst vor dem Niedergang des Westens grundlegende Fragen zur Zukunft der Demokratie aufwerfen. Ich habe das Gespräch vom 30. März 2025 hier aufgenommen, um klarzumachen, dass Demokratie und ein Gelingen von Gesundheit immer Hand in Hand gehen.

Besonders bemerkenswert ist Ivan Krastevs Beobachtung, dass in einer Demokratie »die Zukunft, eine offene Zukunft, eine Zukunft, die man beeinflussen kann, eine Zukunft, die besser werden kann, die wichtigste unsichtbare Institution ist.« Diese Perspektive ist für meine Arbeit mit Klienten entscheidend, um ein Verständnis für aktuelle Entwicklungen zu antizipieren.

Warum sollte man versuchen, die Zukunft zu antizipieren?

Es bleibt müßig, sich mit den Weltzusammenhängen auseinanderzusetzen. Teilweise überfordert uns das aktuelle Tempo. Das Gespräch hat aus meiner Sicht klargemacht, dass wir das mit den Hoffnungen stärker auf uns selbst fokussieren sollten. Damit ist dann gemeint, dass wir nicht auf Entwicklungen von außen warten oder eben hoffen sollten, sondern uns um eigene, gelingende Zukünfte im Rahmen unserer Möglichkeiten kümmern sollten.

Dazu gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was in anderen Teilen der Welt als Eurozentrismus beschrieben wird. Aufgrund unserer langen Geschichte, den zahlreichen Auseinandersetzungen auf dem Kontingent, glauben wir, die Geschichte dreht sich immer mit uns und um uns. Ivan Krastev berichtet von einer Studie, die er weltweit durchgeführt hat. In Westeuropa, Südkorea und insbesondere in Großbritannien ist die Angst vor Trump ausgeprägt. In anderen Teilen der Welt glaubten die meisten Menschen noch vor dem Amtseintritt, dass Trump gut für Amerika, die Welt und ihr eigenes Land sein würde.

Kapitalismus und Gesundheit

Die Hypothese, dass der Kapitalismus es derzeit mit der Figur Donald Trump schafft, sich als Zukunftsperspektive für das Lenken von Staaten zu etablieren, zeigt sich meines Erachtens auch darin, wie einfach transaktionale Beziehungen des Dealmakings genutzt werden, um Fakten zu schaffen. Die Vermutung der Gesprächspartner, dass die Tugenden des Immobilien-Kapitalismus auf politische Zusammenhänge übertragen werden könnten. Grönland ist dann nur ein Stück Land, das man sich den zur Verfügung stehenden Mitteln erschließt. Die Drohungen, sich den Panama-Kanal zurückholen zu wollen, klingt wie den Rückkauf von Aktien; denn auch die USA werden einen Preis dafür bezahlen, falls das nicht nur ein Narrativ bleibt, um mit China über Taiwan verhandeln zu können. Der Versuch, Kanadas Wirtschaft in die Knie zu zwingen, wirkt wie eine Schutzgelderpressung, um den Nachbarn gefügig zu machen, um sich dann womöglich als Retter aufzuspielen, indem Kanada in den Bund der USA aufgenommen werden könnte. Mit der Ukraine läuft das ähnlich.

Es geht um eine sachliche Sachherrschaft, die sich in der täglichen Praxis von Transaktionen zeigt. Ivan Krastev und Precht machen in ihrem Gespräch deutlich, dass die absolute Verfügungsgewalt über Dinge zunehmend auf staatliche Beziehungen übertragen wird, indem Länder und ihre Ressourcen wie handelbare Güter genutzt werden. Diese Entwicklung spiegelt, was Eva von Redecker als Merkmal der sachlichen Sachherrschaft beschreibt – die Kombination aus traditioneller Sachherrschaft (absolute Verfügungsgewalt über Eigentum) und sachlicher Herrschaft (kapitalistische Verwertungslogik), die zur Verdinglichung von Beziehungen und Leben führt.

Kaum auszumalen, wenn sich der Staat in dieser Weise verändert und Gesundheitssysteme, die als Zentrum der Daseinsfürsorge entwickelt werden, sich diesem Muster unterwerfen. Das Betrachten von Krankenhäusern und anderen Gesundheitsinstitutionen als Geschäftsobjekte wäre der logische nächste Schritt, wenn wir diese Anfänge nicht sogar bereits erleben.

Auch die Verschmelzung von Gesundheitspolitik und Kapitalismus führt zu einer Welt ohne traditionelle Grenzen und Werte.

Solidarität unter Druck

Die Stabilität von Demokratien ist eng mit der gesellschaftlichen Gesundheit verbunden. Wenn Menschen das Vertrauen in die Zukunft verlieren und sich vor kommenden Entwicklungen fürchten, hat dies direkte Auswirkungen auf das individuelle und kollektive Wohlbefinden.

Eine progressive Antizipation von Zukünften muss daher nicht nur politische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen, sondern auch die humanistischen Werte im Blick behalten.

Eine Angst vor der Zukunft ersetzt zunehmend die Hoffnung auf Fortschritt. Das stellen die beiden Gesprächspartner fest. Demokratien stehen vor der Herausforderung, ihre Beziehung zur Zukunft neu zu verhandeln. Die Implosion liberaler Demokratien von innen wird als größere Bedrohung gesehen als äußere Feinde. Gesundheitspolitik folgt immer der Staatsdoktrin und wenn diese, wie am Beispiel der USA, in rein transaktionale Abwägungsprozesse driftet, wird das Solidarprinzip sich auflösen.

BTBLGR-LIT-11