Diskursanalyse
Neue Gewissheit
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Phase: Neue Gewissheit
Neun Typen der Online-Kommunikation
Ein Rollenmodell für Online-Kommunikation auf Basis von Peter Modlers Sprachsystemen: Neun Kommunikationstypen im Spannungsfeld zwischen Dominanzstreben und Communityorientierung.
Verfasst von: Frank Stratmann
Diskursanalyse
Update vom 19.10.2025
In seinem Buch Mit Ignoranten sprechen analysiert Peter Modler die kommunikativen Werkzeuge konfrontativer Auseinandersetzungen und unterscheidet zwischen zwei grundlegenden Sprachsystemen: dem vertikalen System der Dominanz und Hierarchie sowie dem horizontalen System der Argumentation und des gleichberechtigten Austauschs. Modler beschreibt zudem drei Eskalationsstufen der Konfrontation – High-Talk, Basic-Talk und Move-Talk – die von subtiler Statusmarkierung über strategische Simplifizierung bis zur maximalen Grenzüberschreitung reichen.
Während Modler sich auf die direkte Begegnung auf der physischen Bühne konzentriert, lässt sich sein Modell auf die digitale Sphäre übertragen. Online-Räume sind Bühnen eigener Art: asynchron, skalierbar, permanent dokumentiert und algorithmisch verstärkt. Hier geht es nicht primär darum, mit Ignoranten zu sprechen, sondern darum, kommunikative Rollen zu verstehen und strategisch zu gestalten. Wenn wir Modlers beiden Sprachsysteme als kontinuierliche Achsen eines Koordinatensystems begreifen – Dominanzstreben auf der einen, Communityorientierung auf der anderen Seite – könnte ein Raum mit neun distinktiven Feldern entstehen. Jedes dieser Felder beschreibt einen charakteristischen Typus der Online-Kommunikation.
Der Abwesende: Unsichtbar im Schatten
Er ist da, aber niemand bemerkt es. Weder Status noch Zugehörigkeit interessieren ihn ausreichend, um sich sichtbar zu machen. Der Abwesende konsumiert Inhalte, scrollt durch Timelines, liest Threads und Kommentare, doch er hinterlässt keine Spuren. Seine Präsenz ist rein rezeptiv. In der Online-Welt sind solche Figuren die stille Mehrheit, die Lurker, die Beobachter ohne Stimme. Sie generieren keine kommunikative Gestaltungskraft, weder vertikal noch horizontal. Für andere Akteure sind sie unsichtbar – eine Masse ohne Kontur, die weder Autorität noch Gemeinschaft formt.
Der Dienstleister: Hilfreiche Hände ohne Führungsanspruch
Er ist da, wenn man ihn braucht. Der Dienstleister beantwortet Fragen, gibt hilfreiche Hinweise, korrigiert Links und räumt im Hintergrund auf. Er hat keinen Anspruch auf Sichtbarkeit oder Status, aber er hält die Community funktionsfähig. Seine Kommunikation ist reaktiv, unterstützend und bescheiden. Er moderiert, ohne zu dominieren, und beteiligt sich, ohne im Mittelpunkt stehen zu wollen. In Foren, Subreddits und Kommentarspalten ist er der stille Helfer, der dafür sorgt, dass die Konversation fließt. Ohne ihn würde vieles zusammenbrechen, doch seine Unsichtbarkeit ist gewollt. Er ist der Kitt, nicht der Architekt.
Der Facilitator: Der Netzwerkknoten
Er macht andere groß. Der Facilitator ist das Gegenteil des Egoisten: Seine gesamte Energie fließt in die Ermöglichung von Verbindungen, den Aufbau von Strukturen und die Stärkung anderer Stimmen. Er verlinkt, er stellt vor, er öffnet Türen. Sein eigener Status ist ihm gleichgültig, aber die Vitalität der Community ist ihm alles. Online zeigt sich dieser Typus in Community-Managern, die keine eigenen Inhalte produzieren, aber eine Plattform für andere schaffen. Er ist der horizontale Katalysator, der Raum hält und Potenzial freisetzt. Seine Macht liegt nicht in der Dominanz, sondern in der Fähigkeit, Verbindungen zu stiften, die ohne ihn nicht existieren würden.
Der Provokateur: Konfrontation ohne Bindung
Er sucht Aufmerksamkeit durch Widerspruch. Der Provokateur positioniert sich gegen den Mainstream, gegen den Konsens, gegen die etablierte Meinung. Seine Interventionen sind kalkuliert: Sie zielen darauf ab, Reaktionen auszulösen, Diskurse zu stören und Status durch Differenz zu markieren. Doch er baut keine Community auf. Seine Konfrontation bleibt isoliert, seine Anhängerschaft flüchtig. Online ist er der Contrarian, der gezielt polarisiert, aber keine loyale Basis kultiviert. Er lebt von der Reaktion anderer, nicht von der Bindung an sie. Seine vertikale Energie verpufft, weil sie nicht durch horizontale Strukturen stabilisiert wird. Er ist präsent, aber allein.
Der Balancierte: Autorität mit Dialog
Er positioniert sich klar, aber bleibt ansprechbar. Der Balancierte hat eine Haltung, Expertise und Überzeugungen, die er artikuliert – manchmal mit High-Talk, manchmal mit Basic-Talk. Doch er verschließt sich nicht dem horizontalen Austausch. Er hört zu, antwortet, lässt sich herausfordern. Seine Autorität speist sich nicht nur aus Dominanz, sondern aus der Konsistenz seiner Argumentation und der Glaubwürdigkeit seines Engagements. Online zeigt sich dieser Typus in Thought Leaders, die eine aktive, dialogische Community pflegen. Sie sind weder Autokraten noch Facilitatoren, sondern Figuren, die beide Sprachsysteme beherrschen und situativ einsetzen. Ihre Kommunikation ist nachhaltig, weil sie Integration statt Polarisierung anstrebt.
Der Stammesführer: Identität durch Zugehörigkeit
Er führt, aber er führt durch Gemeinschaft. Der Stammesführer baut seine Autorität nicht primär auf Dominanz, sondern auf der Fähigkeit, Zugehörigkeit zu erzeugen. Seine Anhänger folgen ihm nicht, weil er sie unterwirft, sondern weil sie sich in ihm wiedererkennen. Er spricht ihre Sprache, teilt ihre Werte, verkörpert ihre Identität. Online ist er der Influencer mit loyaler, partizipativer Basis. Seine Community ist aktiv, engagiert und identifikatorisch gebunden. Er nutzt vertikale Elemente – klare Positionierung, gelegentlich Basic-Talk zur Reviermarkierung – doch sein Erfolg beruht auf der horizontalen Bindung. Er ist die identitätsstiftende Autorität, die nicht durch Macht, sondern durch Resonanz führt.
Der Autokrat: Verkündigung ohne Widerrede
Er spricht, aber er hört nicht zu. Der Autokrat nutzt Online-Räume als Bühne für unilaterale Kommunikation. Seine Botschaften sind Verkündigungen, keine Einladungen zum Dialog. Er duldet keine Widerrede, ignoriert Kommentare oder löscht sie. Seine vertikale Dominanz ist maximal, seine horizontale Offenheit nicht vorhanden. Er ist der Broadcaster ohne Interaktion, der autoritäre Account, der Status durch Abschottung markiert. Seine Macht wirkt absolut, aber sie bleibt fragil, denn ohne Community-Bindung ist sie jederzeit substituierbar. Er herrscht, aber er regiert nicht. Seine Stimme ist laut, aber sie hallt in der Leere.
Der Tribun: Mobilisierung durch Charisma
Er führt durch Kraft und zieht Gefolgschaft an. Der Tribun kombiniert starke vertikale Dominanz mit selektiver Community-Bindung. Er duldet keine Gleichrangigen, aber er mobilisiert eine Basis. Seine Kommunikation ist konfrontativ, oft an der Grenze zum Move-Talk, doch er richtet diese Aggression nach außen, gegen gemeinsame Feinde. Seine Anhänger folgen ihm nicht aus horizontaler Verbundenheit, sondern aus vertikaler Loyalität. Online ist er der populistische Meinungsführer, der eine Bewegung um sich schart, ohne echten Dialog zuzulassen. Seine Macht liegt in der Mobilisierungsfähigkeit, nicht in der Nachhaltigkeit. Er ist die Stimme des Zorns, die Verkörperung der Rebellion – charismatisch, kraftvoll, instabil.
Der Paradox: Die unhaltbare Spitze
Er vereint Unvereinbares. Der Paradox zeigt maximale Dominanz bei gleichzeitig maximaler Community-Integration. Er ist Autokrat und Facilitator zugleich, Tribun und Stammesführer in einer Person. Theoretisch ist diese Position widersprüchlich, denn vertikale Dominanz und horizontale Offenheit stehen in Spannung. Praktisch existiert sie nur in Ausnahmemomenten: bei charismatischen Führungsfiguren in Krisen, bei kulturellen Ikonen, die sowohl verehrt als auch als Gleiche wahrgenommen werden. Online sind solche Phänomene kurzzeitig sichtbar – in viralen Momenten, bei kollektiven Mobilisierungen, in Bewegungen, die eine Person als Symbol und Knotenpunkt zugleich nutzen. Doch diese Position ist nicht nachhaltig. Der Paradox kann nicht dauerhaft existieren, denn die Spannung zwischen den beiden Sprachsystemen zerreißt ihn. Er ist die instabile Spitze, der Moment der Ausnahme, die Figur, die mehr Projektion als Realität ist.
Strategische Positionierung
Diese neun Typen sind keine starren Identitäten, sondern Positionen in einem kontinuierlichen Raum. Wer online kommuniziert, bewegt sich zwischen diesen Polen – mal mehr vertikal, mal mehr horizontal, mal in der Mitte, mal an den Rändern. Die Frage ist nicht, welcher Typus man ist, sondern welcher Typus man sein will und welche Bewegungen zwischen den Feldern strategisch sinnvoll sind. Wer kohärente Autorität bei starkem Community-Interesse anstrebt, wird sich im Raum zwischen dem Stammesführer und dem Balancierten bewegen müssen: stark in der horizontalen Bindung, moderat bis stark in der vertikalen Positionierung, ohne je in Autokratie oder Provokation abzudriften. Die Kunst liegt darin, beide Sprachsysteme zu beherrschen und situativ einzusetzen – nicht als Ignorant, sondern als bewusster Gestalter digitaler Kommunikation.
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