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Phase: Neue Gewissheit

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Shortcut-Technologien

Shortcut-Technologien verkürzen Lernprozesse und versprechen Effizienz, bergen jedoch die Gefahr eines kulturellen Reduktionismus, indem sie den Wert des Prozesses und die persönliche Entwicklung ausblenden. Sprachmodelle sind ein Beispiel für diese Technologien, die sich in einer Kultur der Digitalität schnell verbreiten, jedoch nicht immer erfolgreich sind.

Verfasst von: Frank Stratmann

Digital Literacy

Update vom 10.04.2025

Aufbauend auf der Logik von Beschleunigung und Verfügbarkeit (→ Technologieresonanz) lässt sich der Begriff „Shortcut-Technologien“ einführen.

Noch ist das kein etablierter wissenschaftlicher Terminus. Der Begriff Shortcut-Technologie beschreibt präzise eine Klasse von Werkzeugen oder technologischen Prozessen, deren primäres Ziel darin besteht, etablierte – oft zeitaufwändige oder arbeitsintensive – (Lern-)Prozesse abzukürzen, zu umgehen oder zu automatisieren.

Das Versprechen: ein gewünschtes Ergebnis schneller und mit geringerem Aufwand zu erreichen als durch traditionelle Methoden.

Die Spannweite solcher Technologien reicht von einfachen Tastenkombinationen („Keyboard Shortcuts“) und Software-Automatisierungen bis zu KI-gestützten Systemen, die komplexe Analyse- oder Kreativprozesse übernehmen. Welchen Einfluss Shortcut-Technologien haben, zeigt die Vermutung eines hypothetischen Szenarios, das nicht ganz wirklichkeitsfremd klingt.

Aufgrund der Konditionierung, dass es für alles eine Pille gibt, stellte die niederländische Neurobiologin Brankele Frank kürzlich zur Diskussion:

Wenn wir eine Pille herstellen könnten, die alle kognitiven und emotionalen Vorteile des Musikunterrichts bietet, würden viele Eltern sie jeden Morgen ihren Kindern verabreichen.

Das begründet sich beim Beispiel, ein Musikinstrument zu erlernen, auch damit, eine unsichtbare Grenze mithilfe von Technologie (→ Medikament) zu überwinden.

Ein Musikinstrument zu erlernen oder gar zu beherrschen, wird immer noch als ein Privileg und fast schon als elitär empfunden. Wer jedoch den Aufwand scheut, bildet sich ein, mit der Shortcut-Technologie einer Pille, die Mühen zu umschiffen. Dieses Beispiel lässt sich auf vieles übertragen, das mit der Kultur des Digitalen zusammenhängt. Schüler argumentieren bereits, warum sie noch etwas lernen sollten, wenn das doch alles in Sekundenschnelle im Internet recherchierbar ist.

Der Reiz von Shortcut-Technologien liegt in ihrer Effizienz und der scheinbaren Demokratisierung von Fähigkeiten und Ergebnissen. Sie fügen sich nahtlos in Hartmut Rosas „Triple-A Approach“ (→ Technologieresonanz) ein, indem sie Dinge verfügbar (available), zugänglich (accesable) und erreichbar (achiveable) machen – und das schneller denn je. Doch gerade darin liegt auch ihre Ambivalenz: Denn sie drohen jene Momente auszublenden, die für Resonanzerfahrungen zentral sind – die Auseinandersetzung mit dem Prozess, die Mühe, das Aushalten von Unsicherheit, die persönliche Entwicklung und die Verwandlung des Selbst im Vollzug einer Praxis.

Shortcut-Technologien bergen somit die Gefahr eines kulturellen Reduktionismus. Der Weg wird dem Ziel geopfert, und mit ihm verschwindet oft die tiefere Bedeutung oder der transformative Charakter einer Handlung. Was bleibt, ist das Ergebnis – jedoch ohne die Erfahrung, die es mit Sinn auflädt.

Sprachmodelle als Beispiel für eine Shortcut-Technologie

Die durchschnittlichen Nutzer, die »Realos«, unterscheiden sich von Early Adopters. Nicht jede Innovation setzt sich durch, wie Second Life, Segway oder Google Glass zeigen – auch wenn manche ihrer Zeit voraus waren.

Die frühe Adaption von Technologie durch Realos steigt mit dem Grad einer Kultur der Digitalität.

Während das Radio 9 Jahre benötigte, um 50 Millionen Nutzer zu erreichen, schaffte der iPod dies in 9 Monaten. Felix Stalder erklärt, dass digitale Technologien dort Fuß fassen, ›wo Bedarf für sie schon vorhanden war‹, und ›mit bestimmten kulturellen Praktiken‹ verbunden sind. Neue Technologien bewegen sich ›vom Rand ins Zentrum‹, ermöglicht durch einen strukturellen Wandel der Gesellschaft. Shortcut-Technologien treffen also auf eine bereits angepasste → Kulturelle Praxis.

Es war also eine Kombination aus positiver Vision und Druck, die unterschiedlichste Akteure dazu motivierte, mit teilweise beträchtlichem Aufwand ihr bisheriges Verhalten, die etablierten Prozesse und gewachsenen Institutionen zu verändern.

In der Kultur der Digitalität existiert bereits ein kultureller Rahmen für frühe Technologieadaption.

Direkt zum Produkt

Diskutiert wird das Phänomen neuerdings zunehmend in kreativen Schaffensprozessen, wie wir sie in der Kunst finden.

Die Vorstellung, dass KI uns die eigentliche Seele der Welt – den kreativen Kampf selbst – nehmen könnte, indem sie diesen Prozess des Ringens um den Weg übergeht und nur das Produkt liefert, mag für eine entmutigte Gesellschaft ausreichend sein. Wir geben einfach ein: »Mach ein Lied für meinem Ehemann anlässlich unseres Hochzeitstages« – und heraus kommt dieses Lied, und das genügt uns.

Der kreative Kampf wird dabei letztlich als Hindernis auf dem Weg zum Endprodukt betrachtet.

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar in Juli 2025 im Podcast Tech und Schmetterlinge:

Weil das Prozessuale ist das, was unser Leben bereichert. Und ich glaube, den Aspekt, gerade im künstlerischen Bereich, den muss man fünfmal betonen, weil im Moment wird immer nur aufs Produkt geguckt, aber nicht auf den Weg. Und letztlich ist der Weg das, was das Leben schön macht.

Das sollte uns zutiefst beunruhigen. Die Beobachtung, wie all unsere wahrhaft transzendenten Erfahrungen abgetragen werden. Diese Art von KI – die Vorstellung, dass wir Songs ohne Künstler und all das chaotische, was Künstler ausmacht, erschaffen und direkt zum Produkt gelangen können – ist symptomatisch für eine allgemeine Entwicklung, die wir weitere Menschen müssen.

Ergo

Shortcut-Technologien repräsentieren ein fundamentales Paradox unserer digitalen Gegenwart: Sie versprechen Effizienz und demokratisieren den Zugang zu Ergebnissen, während sie gleichzeitig den wertvollen Prozess des Lernens und der persönlichen Entwicklung untergraben können.

In einer Kultur, die zunehmend das Produkt über den Prozess stellt, werden wir mit der Frage konfrontiert, welchen Preis wir für diese Abkürzungen zahlen. Die tiefere Bedeutung liegt oft nicht im erreichten Ziel, sondern in der Transformation, die wir auf dem Weg dorthin erfahren.

Shortcut-Technologien fordern uns heraus, bewusster zu entscheiden, wann Effizienz angebracht ist und wann der längere Weg die wertvollere Erfahrung bietet.

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Frank Stratmann

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Ich bin Frank Stratmann – ein Cultural-Foresight-Analyst und Designer für deliberative Kommunikation.
Bekannt als @betablogr.

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