CRITICAL-Thinking-Cycle
Dekonstruktion
Mythen
Mythen & Metaphoriken
Cultural Strategic Foresight
Die Schicht der Mythen und Metaphoriken umfasst archetypische Bilder, symbolische Repräsentationen, narrative Muster, kollektive Träume, rituelle Praktiken und performative Handlungen, die unser Denken und Handeln tiefgreifend beeinflussen und kulturelle sowie psychologische Wurzeln von Herausforderungen adressieren.
Verfasst von: Frank Stratmann
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Update vom 15.07.2025
Die Schicht der Mythen und Metaphoriken: Tensoren tiefer Bedeutung
Die Mythen- und Metaphoriken-Schicht stellt die tiefste und oft unbewusste Ebene im Rahmen komplexer Analysen dar. Sie wird analog zu den Ursachen (Vektoren) und Weltbildern (Matrizen) als Tensoren beschrieben, was ihre multidimensionale, tiefgreifende und vernetzte Natur unterstreicht. Der Mythos als Tensor symbolisiert hier nicht nur die Vielzahl der Dimensionen, die diese Schicht umfasst, sondern auch die komplexen Wechselwirkungen und Transformationen, die auf dieser Ebene stattfinden.
Die menschliche Kognition besitzt eine tief verwurzelte Tendenz, das Unbekannte durch das Vertraute zu erschließen. Diese älteste kognitive Abkürzung der Menschheit prägt unser Verständnis der Welt maßgeblich. Yuval Noah Harari beschreibt diese Neigung treffend, indem er festhält, dass …
Mythologie nimmt menschliche Beziehungen und bläst sie auf, als ob das gesamte Universum wie unsere Familien funktionieren würde. Vor der modernen Wissenschaft konnten wir uns Atome, Schwarze Löcher oder Viren und Bakterien nicht vorstellen.
Ob einst Blitz und Donner als Ausdruck göttlichen Zorns gedeutet wurden oder heute Künstliche Intelligenz als „Superintelligenz“ Furcht einflößt, überziehen Menschen die Realität mit vertrauten Rollen, Motiven und dramaturgischen Bögen. Mythen sind dabei weit mehr als bloße Märchen. Sie erweisen sich als leistungsfähige soziotechnische Werkzeuge, die es Millionen von Fremden ermöglichen, koordiniert zu handeln. Dies reicht vom antiken Athen bis zum komplexen globalen Aktienmarkt. Solche geteilten Fiktionen kann man als „imagined orders“ bezeichnen, weil sie das unsichtbare Gerüst unserer kollektiven Wirklichkeit bilden.
Auf der Schicht der Mythen finden wir also die grundlegenden archetypischen Bilder, Symbole und Narrative, die unser kollektives Unbewusstes widerspiegeln und unser Denken, Fühlen und Handeln auf tiefgreifende Weise beeinflussen. Sie bieten oft einen direkten Zugang zu unbewussten Wünschen, Ängsten und tief verwurzelten kulturellen Bedeutungen, die unsere Realität formen und die Basis für unsere Weltbilder bilden.
Mythen sind Fiktionen in Sinnfeldern
Wir verfolgen im Cultural Strategic Foresight allerdings keine konstruktivistischen Argumentationen, demnach die Welt nur vorgestellt sei. Mythische Fiktionen gehören zur Realität.
Markus Gabriel unterscheidet deshalb zwischen verschiedenen Arten von Fiktionen. Nach seinem Ansatz sind Fiktionen nicht bloß „Nicht-Realitäten“, sondern Ereignisse und Gegenstände, die in spezifischen Sinnfeldern existieren, etwa in der Einbildung, im sozialen Miteinander oder im Rahmen ästhetischer Praktiken.
Der Schein ist Sein. Wir entrinnen der Wirklichkeit nicht dadurch, dass wir uns täuschen oder getäuscht werden. Denn das Wirkliche ist dasjenige, zu dem wir nicht erfolgreich auf Abstand
gehen können. Jeder Fluchtversuch scheitert hier daran, dass wir uns mitnehmen, dass
also dasjenige, dem wir zu entkommen suchen – die Wirklichkeit – durch unsere Einbildung
allenfalls verändert wird. Kein Gedanke und keine Tätigkeit bringen sie zum Verschwinden.“
Der Philosoph betont im ersten Satz seines Buches Fiktionen. Demnach gehören Mythen zum Reich der Fiktionen und man darf sich klar darüber werden, wie unendlich komplex die Vorstellungskraft der Menschen für sich allein und insgesamt sind.
Facetten der mythischen Schicht
Diese Schicht umfasst verschiedene, eng miteinander verknüpfte Aspekte, die ineinandergreifend unsere Wahrnehmung sowie unsere Interaktion mit der Welt maßgeblich prägen:
Archetypische Bilder: Dies sind tief im kollektiven Unbewussten verwurzelte, universelle Bilder, die menschliche Erfahrungen und Muster repräsentieren. Beispiele hierfür sind »der Held«, »der Schatten«, »die Große Mutter« oder »der Weise Alte«. Sie beeinflussen unser Denken und Handeln oft unbemerkt, indem sie unsere Erwartungen an uns selbst und andere formen und unsere Reaktionen auf Lebensherausforderungen prägen. Ihre Resonanz ist tief, da sie auf geteilte menschliche Erfahrungen über Kulturen und Zeiten hinweg zurückgreifen.
Symbolische Repräsentationen: Symbole sind mächtige Werkzeuge, die es uns ermöglichen, komplexe Ideen und Emotionen auf eine einfache und zugängliche Weise zu vermitteln. Sie verdichten riesige Mengen an Information und emotionaler Resonanz in einer einzigen Form. Durch ihre vielschichtige Bedeutung und emotionale Ansprache umgehen sie rein logische Verarbeitungsprozesse und sprechen direkt unsere Intuition und Gefühle an. So kann unter anderem Wasser Leben, Reinigung oder das Unbewusste symbolisieren, während Licht für Wissen, Erleuchtung oder Hoffnung steht und ein Baum Wachstum, Stabilität oder Verbindung repräsentiert.
Narrative Muster: Dies sind die Geschichten und Erzählstrukturen, die wir nutzen, um Ereignisse und Erfahrungen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Sie sind von entscheidender Bedeutung, da sie dem Chaos der Existenz Kohärenz und Bedeutung verleihen. Sie sind die Rahmenwerke, durch die wir unsere Vergangenheit interpretieren, unsere Gegenwart navigieren und unsere Zukunft antizipieren. Bekannte Muster sind »die Reise des Helden«, »der Mythos vom Sündenbock« oder die Erzählung von »Aufstieg und Fall«. Diese Muster helfen uns, uns in größeren kulturellen Geschichten zu verorten und unseren Platz in der Welt zu verstehen.
Kollektive Träume: Diese spiegeln die unbewussten Wünsche, Hoffnungen und Ängste einer gesamten Gesellschaft oder Gruppe wider. Sie manifestieren sich nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Popkultur, politischen Ideologien, sozialen Bewegungen und sogar in der Architektur. Sie können tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben, indem sie eine kollektive Sehnsucht nach Wandel, Gerechtigkeit oder Sicherheit widerspiegeln, können aber auch bestehende Machtstrukturen oder Ängste perpetuieren.
Rituelle Praktiken: Rituale sind kulturell verankerte Handlungen, die den Umgang mit wichtigen Lebensereignissen strukturieren und ihnen Bedeutung verleihen. Sie dienen der Orientierung, der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und der psychologischen Verarbeitung von Übergängen und Krisen. Beispiele hierfür sind Hochzeitszeremonien, Beerdigungen, jährliche Feste oder Initiationsriten. Sie bieten einen strukturierten Weg, sich mit dem Sakralen und dem Bedeutsamen auseinanderzusetzen und kollektive Werte zu festigen.
Performative Handlungen: Dies sind Handlungen, die es ermöglichen, Identität und Zugehörigkeit auszudrücken und zu festigen. Dies geschieht durch gemeinsame Gesten, Sprache, künstlerischen Ausdruck oder sogar alltägliche Verhaltensweisen. Sie sind die aktive Verkörperung von Mythen und Metaphern, machen abstrakte Überzeugungen greifbar und verstärken den sozialen Zusammenhalt sowie die individuelle Identität innerhalb einer Gruppe.
Diese erweiterte Perspektive der Causal Layered Analysis (CLA), ermöglicht es uns, über rein deskriptive Ansätze hinauszugehen. Sie befähigt uns, die komplexen Verknüpfungen zwischen oberflächlichen Erscheinungen, systemischen Ursachen, prägenden Weltbildern und den tief verankerten Mythen und Metaphern zu entschlüsseln.
Diese ganzheitliche Sichtweise ermöglicht es uns, über eine reine Symptombekämpfung hinauszugehen und stattdessen die tiefsitzenden kulturellen und psychologischen Wurzeln von Herausforderungen zu adressieren.
Nur durch das Verständnis und die bewusste Auseinandersetzung mit diesen tiefen Schichten können wir wirklich nachhaltige Transformationen anstoßen und zukunftsfähige Wege gestalten.
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