Gesetzliches Zugangsverbot für Parteien zu sozialen Medien ist verfassungsrechtlich problematisch; Transparenz und Regulierung sind erforderlich.
Die zunehmende Nutzung sozialer Medien durch politische Parteien wirft komplexe verfassungsrechtliche Fragen auf, insbesondere im Spannungsfeld zwischen demokratischer Meinungsbildung, Grundrechten und regulatorischen Herausforderungen. Vor dem Hintergrund wiederholter Verstöße gegen bestehende Regelungen zur Parteienwerbung – etwa durch den Einsatz von Microtargeting oder die zweckwidrige Verwendung öffentlicher Mittel – stellt sich die Frage, ob ein gesetzliches Verbot des Parteizugangs zu diesen Plattformen verfassungskonform ausgestaltet werden könnte. Die folgenden Analysen beleuchten die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, praktische Konfliktfelder und mögliche Grenzen staatlicher Regulierung.
Verfassungsrechtliche Stellung politischer Parteien und ihre Rolle in sozialen Medien
Grundgesetzliche Verankerung der Parteienfunktion
Politische Parteien genießen gemäß Art. 21 Abs. 1 GG einen verfassungsrechtlichen Sonderstatus als „Mitwirkende bei der politischen Willensbildung des Volkes“. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rolle stets als „konstitutives Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ interpretiert, das eine aktive Teilhabe am öffentlichen Diskurs voraussetzt 1. In der digitalen Sphäre übersetzt sich dieser Auftrag in die Präsenz auf Social-Media-Plattformen, die längst zentrale Arenen politischer Debatten darstellen.
Allerdings unterliegt diese Betätigung verfassungsimmanenten Schranken: Die Pflicht zur innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG) und das Verbot verfassungsfeindlicher Bestrebungen (Art. 21 Abs. 2 GG) markieren Grenzen, die auch digitale Aktivitäten erfassen. So urteilte das BVerfG bereits 2020, dass „die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien nicht zur Instrumentalisierung digitaler Infrastrukturen für manipulative Zwecke missbraucht werden darf“ 2.
Konfliktfelder zwischen Parteienaktivitäten und verfassungsrechtlichen Prinzipien
Microtargeting als Gefährdung der Chancengleichheit
Der Einsatz algorithmenbasierter Mikro-Zielgruppenansprache steht im Widerspruch zum Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, der sich aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) ableitet. Wie der Bundesrechnungshof 2024 feststellte, ermöglicht die intransparente Datenverarbeitung durch Plattformen eine asymmetrische Einflussnahme, die kleinere Parteien systematisch benachteiligt 3.
Rechtstatsächlich zeigt die Praxis: Bei der Bundestagswahl 2021 setzten sechs etablierte Parteien Microtargeting-Techniken ein, die auf sensiblen Daten wie religiöser Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung basierten – ein Verstoß gegen Art. 9 DSGVO 4. Trotz Selbstverpflichtungen im „Fairness-Abkommen 2025“ dokumentierte noyb 2025 fortgesetzte Verstöße, die das Bundesverfassungsgericht als „strukturelle Gefährdung des politischen Wettbewerbs“ einstufen könnte 5.
Vermischung staatlicher und parteilicher Kommunikation
Die Untersuchung des Bundesrechnungshofs zur Social-Media-Nutzung von Bundestagsfraktionen offenbarte systematische Verstöße gegen das Trennungsgebot zwischen staatlicher und parteipolitischer Kommunikation. Über 60% der untersuchten Posts enthielten direkte Wahlwerbung oder parteipolitische Kampagneninhalte, finanziert aus Mitteln der Fraktionszuschüsse 6.
Diese Praxis tangiert gleich mehrfach verfassungsrechtliche Prinzipien:
Neutralitätsgebot staatlicher Organe (Art. 20 Abs. 2 GG)
Haushaltsrechtliche Zweckbindung (Art. 110 GG)
Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
Das BVerwG hatte bereits 2017 klargestellt, dass „die Fraktionen als parlamentarische Organe keine Plattformen für parteipolitische Profilierungsversuche missbrauchen dürfen“ 7.
Verfassungsrechtliche Bewertung eines Zugangsverbots
Eingriffsintensität und verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Ein pauschales Zugangsverbot für Parteien zu sozialen Medien würde in mehrere Grundrechte eingreifen:
Art. 21 Abs. 1 GG (Parteienprivileg)
Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungs- und Informationsfreiheit)
Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit der Parteimitglieder)
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung müsste sich am Übermaßverbot orientieren:
Legitimer Zweck: Schutz der Demokratie vor manipulativen Einflüssen
Geeignetheit: Fraglich, da Plattformen weiterhin durch Einzelpersonen nutzbar wären
Erforderlichkeit: Mildere Mittel wie Transparenzpflichten oder Targeting-Verbote
Angemessenheit: Disproportionaler Eingriff in politische Kommunikation
Das BVerfG betont in ständiger Rechtsprechung, dass „Eingriffe in die politische Kommunikation nur bei konkreter Gefährdung höherrangiger Rechtsgüter zulässig sind“ 8.
Alternative Regulierungsansätze
Statt pauschaler Verbote bieten sich verfassungskonformere Lösungen an:
Erweiterte Transparenzpflichten nach § 5 PartG für alle digitalen Kampagnen
Verbot algorithmischer Verstärkung politischer Inhalte (§ 11 NetzDG-E)
Stärkung der Aufsichtsbefugnisse der Bundestagsverwaltung über Fraktionsmittel
Haftungsverschärfung für Plattformen bei Verstößen gegen § 19a PartG
Ein Modell könnte das österreichische Werbeverbot für politische Mikrotargeting-Kampagnen bieten, das 2023 eingeführt wurde und sich auf den Gleichheitsgrundsatz stützt 9.
Europarechtliche Vorgaben
Die EU-Wahlrechtsrichtlinie 2025 verbietet in Art. 7a ausdrücklich den Einsatz von Microtargeting auf Basis sensibler Daten. Nationale Gesetzgeber sind aufgefordert, „effektive Sanktionsmechanismen“ gegen Verstöße zu etablieren. Ein Zugangsverbot würde jedoch über diese Vorgaben hinausgehen und müsste den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 52 EU-GRCharta) wahren.
Fazit: Verfassungsrechtliche Grenzen und Reformperspektiven
Die Analyse zeigt, dass ein pauschales Zugangsverbot für Parteien zu sozialen Medien mit hoher Wahrscheinlichkeit an Art. 21 Abs. 1 GG scheitern würde. Stattdessen bedarf es einer differenzierten Regulierung, die:
Microtargeting auf Basis sensibler Daten explizit untersagt
Transparenzanforderungen für algorithmische Verstärkungsmechanismen schafft
Sanktionsbefugnisse der Aufsichtsbehörden stärkt
Der Gesetzgeber könnte hierbei auf bestehende Instrumente wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zurückgreifen und es um parteispezifische Regelungen ergänzen. Entscheidend bleibt, dass jegliche Beschränkungen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) Rechnung tragen und den Kernbereich politischer Kommunikation unangetastet lassen.
Verweise
1 BVerfG, Urteil vom 14. Januar 1958 – 2 BvE 1/57 2 BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 2020 – 2 BvE 1/19 3 Bundesrechnungshof: Sonderbericht zur Social-Media-Nutzung, 2024 4 noyb-Beschwerde vom 21. Februar 2025 – C-102/25 5 Fairness-Abkommen 2025, unterzeichnet von SPD, CDU, CSU, Grünen, FDP und Linke 6 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags: WD 3-163/2020 7 BVerwG, Urteil vom 13. September 2017 – 10 C 6.16 8 BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 2022 – 1 BvR 1783/21 9 Österreichisches Bundesgesetz über politische Werbung (PolWG 2023) Richtlinie (EU) 2025/387 zur Harmonisierung der Wahlkampfstandards